Knapp vor Weihnachten hatte Tal Silberstein einen Termin beim ÖGB, eingefädelt von der Terminsekretärin des Kanzlers Victoria S. Mit im Gepäck eine 32-seitige Power-Point-Präsentation mit detaillierten Vorschlägen für eine Kampagne, in der Sebastian Kurz, damals noch einfaches Regierungsmitglied, als Arbeitsplatzkiller und „Selfie-Politiker“, den nur die Inszenierung, nie Inhalte umtreiben, gebrandmarkt wird. Wie die Debatte in der ÖGB-Zentrale verlief, ist nicht bekannt. Die Sudel-Kampagne, die der Kleinen Zeitung vorliegt, erblickte nie das Licht der Welt, den Gewerkschaftern war Silbersteins perfide Botschaft, Kurz' Flüchtlingspolitik ziele auf die Schaffung von Ein-Euro-Jobs für Migranten ab und führe somit zu Massenarbeitslosigkeit, Armut, Hunger („Bitte nehmen Sie den Kindern nicht das Essen weg“), zuwider. Was in den USA funktioniert, funktioniert zum Glück nicht in Österreich. Silberstein und seine Übersetzerin Anna J., die spätere Whistleblowerin, mussten unverrichteter Dinge gehen.

"Ich gebe dir das Doppelte"

Die heiße Phase des Wahlkampfs wird täglich von neuen Enthüllungen erschüttert. In der heutigen Ausgabe berichtet die „Kronen Zeitung“, Rudi Fußi, der Redenschreiber von SPÖ-Chef Christian Kern, habe Anna J., die nach Silbersteins Verhaftung ohne Job dastand, via SMS Schweigegeld angeboten. „Egal, was dir die ÖVP dafür gegeben hat. Ich gebe dir das Doppelte.“ Da die Frau nicht auf die Nachricht reagiert habe, schrieb Fußi weiter: „Sie haben deine Telefonprotokolle. Und klagen dir den Arsch weg. Morgen Deal oder ich kann dir nimma helfen.“ Die SPÖ distanzierte sich gestern von Fußi, er stehe in keinem Auftragsverhältnis zur SPÖ. Ein Insider wusste allerdings zu berichten, der Kanzler habe oft bei Fußi angeklopft, „weil Kern mit allen anderen Redenschreibern unzufrieden war“.

In den letzten Wochen hat der Wahlkampf einen neuen Tiefpunkt erreicht. Gezielt wurden Interna veröffentlicht, die die Frage aufwerfen: Warum hat Kern seine Partei nicht im Griff? Kann er Kanzler, aber nicht Parteichef? Welche Rolle spielt die ÖVP bei den Enthüllungen?

Vor einer Woche wurde bekannt, dass Silberstein eine verdeckt operierende Truppe installiert hatte, die Anti-Kurz-Fakeseiten auf Facebook betrieben hat. Am Donnerstag enthüllte die APA im Detail, dass Silberstein bereits im Herbst den Kanzler umfassend beraten hatte, etwa im Vorfeld der Präsentation von Plan A. Kern hatte noch Mitte August Stein und Bein geschworen, Silberstein habe nur eine Nebenrolle gespielt und nur Daten erhoben und ausgewertet. Christoph Matznetter, der von Kern eingesetzte Aufdecker, musste jetzt kleinlaut einräumen, die SPÖ habe Silberstein 536.000 Euro an Honorar überwiesen.

"In schmutzigen Kandidaten verwandeln"

Dass Silberstein in Österreich wieder mitmischt, diese Vermutung tauchte bereits im Jänner in diversen Medien, so auch in der Kleinen Zeitung, auf. Kurz hatte darüber geklagt, dass sein persönliches Umfeld ausspioniert werde, sofort fiel der Verdacht auf den berüchtigten PR-Berater. In einer 2006 erschienenen, auch von der „New York Times“ gewürdigten Politdoku über die schmutzigen Praktiken im bolivianischen Präsidentschaftswahlkampf kommt Silberstein prominent zu Wort: „Wir müssen eine negative Kampagne starten und (unseren Gegner) von einem sauberen in einen schmutzigen Kandidaten verwandeln.“

Dass die SPÖ Silberstein mit dem Ziel eingekauft hatte, Kurz anzupatzen, wie von der ÖVP behauptet, greift zu kurz. Ein Insider packt im Gespräch mit der Kleinen Zeitung aus. „Es bestand die berechtigte Annahme, dass die SPÖ-Parteizentrale nicht kampagnenfähig ist.“ Deshalb wurde Silberstein von Kern auf Vorschlag von Alfred Gusenbauer als Wahlkampfmotor installiert, um als kreativer, energiegeladener Wirbelwind der verschlafenen Löwelstraße Beine zu machen. Bald brachte Silberstein einen Teil des Teams gegen sich auf, im Juni drangen Indiskretionen über inhaltliche Grabenkämpfe zwischen Kanzleramt und Löwelstraße nach außen, in seiner Verzweiflung konsultierte Kern sogar Stefan Petzner. Wegen Differenzen mit Silberstein warf Kampagnenchef Stefan Sengl das Handtuch. Nach Silbersteins Verhaftung übernahm Kanzlersprecher Johannes Vetter das Zepter in der Partei.

Am Freitag erreichte die Affäre die ÖVP. Peter Puller, Silbersteins Statthalter in Wien, beschuldigte Kurz-Sprecher Gerald Fleischmann, 100.000 Euro für Spitzeldienste geboten zu haben. Fleischmann dementiert, es steht Aussage gegen Aussage. Puller machte seine ersten Gehversuche als Dirty Campaigner 2005 - in der steirischen ÖVP.