Zwischen Österreich und Italien schaukelt sich der Streit um den Umgang mit der Flüchtlingskrise auf, zugleich ist die Frage der Schließung der Mittelmeer-Route Wahlkampf-Thema Nummer eins. Sind die österreichischen Vorschläge – von der Brenner-Schließung bis zu Strafen für NGOs - geeignet, die Flüchtlingskrise zu lösen?

GERALD KNAUS: Das Grundproblem ist offensichtlich. Wir haben eine gemeinsame europäische Außengrenze im Mittelmeer. Egal, welche Vorschläge in Wien gemacht werden: Letztlich geht es darum, Italien und die anderen europäischen Partner zu überzeugen. Dazu braucht man Konzepte, die tatsächlich funktionieren, und die sehe ich in der österreichischen Debatte derzeit nirgends. Italien, das ohnehin alleingelassen wird mit der Flüchtlingskrise, ständig vor den Kopf zu stoßen, ist sicher nicht hilfreich.

Sebastian Kurz schlägt vor, dass man die Leute bis Lampedusa kommen lässt, dort versorgt und sie dann wieder zurück nach Afrika bringt.Warum stimmen die Italiener dem nicht einfach zu?

KNAUS: Jeder, der heute gerettet und nach Italien gebracht wird, hat das Recht, einen Asylantrag zu stellen. Derzeit dauern Asylverfahren sehr lange. Möchte der Außenminister, dass Italien das Asylrecht außer Kraft setzt und die Leute einfach ohne Prüfung zurückweist? Dazu kommt: Die meisten Afrikaner, die in Italien ankommen, stammen aus Nigeria, Senegal, Gambia, Elfenbeinküste. Es ist im letzten Jahr praktisch keinem europäischen Land gelungen, abgelehnte Asylwerber erfolgreich in diese Herkunftsländer zurückzubringen. Deshalb würden innerhalb kürzester Zeit Zehntausende Menschen ohne Perspektive auf Lampedusa festsitzen. Es ist für mich nicht überraschend, dass Italien gereizt reagiert, wenn jemand in Österreich sagt, verwandeln wir doch Lampedusa in ein Mega-Guantanamo ohne Aussicht auf Besserung.

Kurz argumentiert, dass etwas Ähnliches in Griechenland aufgrund der abschreckenden Wirkung bereits funktioniert hätte.

KNAUS: Dass das in Griechenland funktioniert hat, lag nicht daran, dass wir das Asylrecht ausgesetzt haben, denn das geht rechtlich gar nicht, sondern, dass wir mit den Verhandlungen, die die deutsche Kanzlerin mit Ankara geführt hat, die Türkei davon überzeugt haben, jeden zurückzunehmen – nach einem fairen Verfahren auf den Inseln. Die Verfahren in Griechenland funktionieren zwar zu langsam. Dennoch haben wir mit der Türkei ein Land, das sagt, wir nehmen jeden zurück. Dieses Land gibt es derzeit in Nord- und Westafrika nicht. Richtig an die Grundaussage des Außenministers und auch des Bundeskanzlers ist, dass man mehr Leuten klar machen muss, dass sie sich nicht auf die Reise über Sahara und Meer begeben sollen. Im Moment können fast alle afrikanischen Auswanderer in Europa bleiben, nachdem sie Italien erreicht haben – selbst wenn sie kein Asyl bekommen. Das müssen wir ändern. Nur muss man es so machen, dass es im Einklang mit EU-Recht steht und auch logistisch funktioniert.

Gibt es eine solche Lösung?

KNAUS: Erstens: Wir wollen schnellere Rückführungen ab einem Stichtag X, dafür aber brauchen wir Abkommen mit den westafrikanischen Herkunftsländern. Damit Länder wie Nigeria oder Senegal zustimmen, muss man auch etwas anbieten. Zum Zweiten brauchen wir zügige, rechtsstaatliche Asylverfahren in Italien. Dafür benötigt man in Italien von der EU finanziell und organisatorisch ausreichend unterstützte Asylzentren. Wenn jemand weiß, dass er mit 80prozentiger Wahrscheinlichkeit zurückgeschickt wird, riskiert er oder sie nicht das Leben und zahlt nicht tausende Euros an Schlepper. Europa kann diese Krise lösen, und das in Partnerschaft mit den betroffenen Ländern und innerhalb des rechtlichen Rahmens. Zu glauben, wenn wir die Retter bestrafen, lösen wir die Flüchtlingskrise, ist eine Scheindebatte.

In wessen Verantwortung liegt es, Rückführungsabkommen auszuhandeln?

KNAUS: Das ist genau das Problem, das wir haben: Diese Verhandlungen führt derzeit keiner. Als die Menschen über die Ägäis nach Griechenland kamen, waren die deutsche Kanzlerin und der niederländische Premier als Ratspräsident der EU sehr aktiv und jeden Tag am Telefonieren, um mit Ankara ein Abkommen auszuhandeln. Das fehlt uns jetzt. In Deutschland herrscht Wahlkampf; in der Kommission gibt es viele, die sich immer wieder einmal um das Thema kümmern, aber nicht ständig. Man müsste jemanden speziell für die Verhandlungen beauftragen, zum Beispiel den ehemaligen schwedischen Premier Reinfeldt oder den Franzosen Alain Juppé. Diesen EU Sondergesandten gibt es derzeit aber nicht.

Das heißt, der Kanzler-Vorschlag, einen EU-Kommissar dafür zu ernennen, war sinnvoll.

KNAUS: Er geht in die richtige Richtung. Wir müssen den afrikanischen Ländern dafür, dass sie ihre Leute nach dem Stichtag alle zurücknehmen, beispielsweise anbieten, dass es für bestimmte Kontingente ihrer Bürger einen geordneten Zugang zum Arbeitsmarkt gibt oder Stipendien für Studenten. Das fällt in die Rechte der Mitgliedsländer, solche Verhandlungen kann die Kommission schwer führen. Besser geeignet wäre eine Koalition williger Mitgliedsländer, die sich hier mehr engagieren, natürlich mit Italien, Schweden, Deutschland aber auch Österreich.

Glauben Sie noch daran, dass anerkannte Flüchtlinge solidarisch in allen europäischen Ländern unterkommen können?

KNAUS: Länder wie Ungarn oder Polen, die keine Flüchtlinge aufnehmen, könnten im Rahmen eines Gesamtpakets auf andere Weise einen Beitrag leisten – indem sie zum Beispiel Stipendien finanzieren, die ein Rücknahme-Abkommen für Herkunftsländer attraktiv machen.

Erwarten Sie, dass die Situation am Brenner früher oder später so aussehen wird wie in Spielfeld 2015?

KNAUS: Sicher nicht. Selbst pessimistische Hochrechnungen gehen von Zahlen aus, wonach 2017 weniger als die Hälfte in Italien ankommen, als 2015 allein in Lesbos ankamen. Das war damals eine Ausnahmesituation.