"Antisemitismus und Faschismus sind nicht verschwunden, nicht aus Europa und auch nicht aus Österreich". Mahnende Worte richtete Israels Präsident Reuven Rivlin am Sonntag an Bundeskanzler Christian Kern. Dieser versicherte zu Beginn seines Besuchs in Jerusalem, dass Österreich antisemitische Tendenzen stets bekämpfen werde. "Wir werden unseren jüdischen Mitbürgern immer zur Seite stehen."

Der SPÖ-Politiker unterstrich, dass Österreich Jahrzehnte gebraucht habe, sich seiner Rolle während des Nationalsozialismus und seiner Mitschuld am Holocaust zu stellen. "Diese Geschichte und dieses Erbe sind immer präsent und können nicht ungeschehen gemacht werden", erklärte Kern. Es sei auch wichtig, dies der Jugend und den kommenden Generationen zu vermitteln, die keine Eltern oder Großeltern mehr hätten, die ihnen von dieser Zeit erzählen könnten.

Kern bei Rivlin
Kern bei Rivlin © APA/AFP/GALI TIBBON

Persönlich wurde Kern, als er zu Beginn seines Treffens mit Rivlin von seiner mittlerweile 89-jährigen Mutter erzählte, die während des Nationalsozialismus untergetauchte Juden mit Essen versorgt habe, ehe diese eines Tages offenbar deportiert wurden. Als Beispiel für die Notwendigkeit der Geschichtsaufarbeitung nannte Kern die Österreichischen Bundesbahnen, denen er bis zum Vorjahr vorgestanden war. Diese hätten sich erst in den vergangenen Jahren mit ihrer Rolle bei der Deportation von Juden beschäftigt. Zuvor habe die Ansicht vorgeherrscht, die ÖBB seien damals Teil der "Deutschen Reichsbahn". "Das war falsch, es gab eine Kontinuität vor dem Krieg, während des Kriegs und danach."

Gute Beziehungen

Beide Politiker unterstrichen aber auch, dass die Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern immer besser würden. "Österreich spielt eine positive Rolle bei der Kooperation zwischen Israel und der EU sowie Israels und seinen Nachbarn", sagte Rivlin. Es gebe ein großes Potenzial für eine strategische Partnerschaft in Bereichen wie "Terrorismusbekämpfung", aber auch "grüner Energie", wie Israels Präsident betonte.

Aber auch auf Wirtschaftsebene soll stärker kooperiert werden. Bis 2015 hätten sich die bilateralen Handelsbeziehungen durchaus positiv entwickelt, zuletzt gingen sie etwas zurück. Kern strich die führende Rolle Israels im Bereich von Start-Up-Unternehmen hervor. "Das ist hier ein dynamischer, vibrierenden Platz, ein Role Model." Am Montag will der Kanzler einige dieser Start-Ups persönlich unter die Lupe nehmen.

Treffen mit Holocaust-Überlebenden

Danach stand für Kern ein Mittagessen mit aus Österreich stammenden Holocaust-Überlebenden auf dem Programm.

"Österreich hat seine Lektion gelernt." Das versicherte Bundeskanzler Christian Kern bei einem Treffen mit Holocaust-Vertriebenen in Jerusalem. "So etwas darf nie wieder passieren", sagte Kern. Nicht nur aus Respekt vor den Opfern. "Wie wir mit Rassismus und Antisemitismus umgehen, zeigt, was für eine Gesellschaft wir wollen."

Gideon Eckhaus, Obmann des österreichischen Pensionistenclubs in Jerusalem, warnte seinerseits vor wachsenden antisemitischen Tendenzen: "Die Shoa sollte für immer ein Mahnmal sein, doch leider werden immer noch Hass und Antisemitismus verbreitet." Mit seiner Generation gehe es langsam zu Ende. Doch noch lebe die Erinnerung, Österreich habe die meisten nie losgelassen: "Wir denken oft an unsere geborgene Kindheit im Elternhaus zurück."

Der Kanzler bei Holocaust-Vertriebenen
Der Kanzler bei Holocaust-Vertriebenen © APA/BKA/ANDY WENZEL

Viele Freunde und Familienmitglieder seien aber während des Nationalsozialismus in Konzentrationslagern oder auf der Flucht ermordet worden. Die meisten der heutigen Mitglieder im Pensionistenclub seien damals als Kinder oder Jugendliche alleine nach Israel gekommen, erzählte Eckhaus. Eine davon war Nomi Meron: "Ich war damals 14 Jahre alt und musste das Trottoir waschen." Lange habe sie mit ihrer alten Heimat gehadert, meinte die gebürtige Wienerin. In den vergangenen 40 Jahren sei sie aber dann doch regelmäßig zurückgekehrt. "Das Beste in meinem Leben war, mit Österreich Frieden zu schließen." Mittlerweile sitzt die alte Dame im Rollstuhl. Nun wird sie Österreich, glaubt sie, wohl nicht mehr wiedersehen.

Gespräch mit dem palästinensischen Regierungschef

Bundeskanzler Christian Kern hofft auf mehr Bemühungen zur Lösung des israelisch-palästinensischen Nahost-Konfliktes. "Es gibt eine gemeinsame Einschätzung, dass es einen Fortschritt geben muss", erklärte der SPÖ-Politiker am Sonntag nach einem Gespräch mit dem palästinensischen Regierungschef Rami Hamdallah in Ramallah.

Rami Hamdallah
Rami Hamdallah © APA/AFP/POOL/FADI AROURI

Am Abend wird der Bundeskanzler in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem an den offiziellen Gedenkfeiern des Staates Israel zum Yom Ha'Shoah, dem "Tag des Gedenkens an Holocaust und Heldentum" teilnehmen. An diesem israelischen Nationalfeiertag wird an die Opfer der Shoa, aber auch an den jüdischen Widerstand und das Heldentum der jüdischen Untergrundkämpfer erinnert. "Das ist wirklich eine große Ehre für mich", betonte Kern. Es sei auch Ausdruck der neuen Qualität der israelisch-österreichischen Beziehungen, "die durch diesen Besuch weiter vertieft werden sollen."

Außerdem will sich der Bundeskanzler am Montag über ein Projekt für eine gemeinsame jüdisch-arabische Erziehung informieren. Dazu ist am Dienstag ein Rundgang durch die "Max Rayne Hand-in-Hand-Schule" der "Jerusalem Foundation" geplant. Zum Abschluss seiner Reise wird Kern Gespräche mit Regierungschef Benjamin Netanyahu und Verteidigungsminister Avigdor Lieberman führen.

Nach dem österreichischen Bundeskanzler wird am Dienstag der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel zu Gesprächen mit der israelischen und der palästinensischen Regierung in Jerusalem und Ramallah erwartet. Der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas hatte sich bei seinem Berlin-Besuch vor einem Monat eine deutsche Vermittlung gewünscht. Die israelische Diplomatie lehnt dies jedoch ab.

Derzeit spielen die USA neben den beiden Konfliktparteien die wichtigste Rolle bei der Suche nach einer Lösung im Nahen Osten. Zuletzt sind die USA aber unter dem neuen Präsidenten Donald Trump von der expliziten Forderung nach einer "Zweistaatenlösung" abgerückt.