Der erste Tag im Zentrum der EU war ein Heimspiel für den neuen Bundespräsidenten, heute setzt Alexander Van der Bellen seinen Antrittsbesuch bei der Europäischen Union fort. In Straßburg hielt Van der Bellen eine Rede vor dem Europaparlament. Zuvor traf er   Parlamentspräsident Antonio Tajani geplant.

Der Auftritt Van der Bellens war als Grundsatzrede an alle Europäer angelegt. Es sei seine Überzeugung, dass man mit der Verletzung der Würde anderer, der Einschränkung, neuen Mauern, alten Nationalismen kein einziges Problem löse. „Im Gegenteil, man schafft neue.“ Das sei keine Prognose, sondern eine Erkenntnis, aus leidvollen Erfahrungen insbesondere aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, "aus denen wir unsere Lehren gezogen haben, oder zumindest gezogen haben sollten".

Es sei in Mode gekommen, dass man sich entscheiden müsse zwischen der Liebe zum Vaterland und der Liebe zu Europa, zwischen der Hilfsbedürftigkeit der eigenen Leute und jener anderer, zwischen dem Eigennutz für sich selbst und dem Nutzen für andere. Aber dieser Weg führe in die Irre. Man könne sein Heimatland leben und die europäische Idee. Man könne seinen Landsleuten helfen und anderen, sich selber nützen und zum Wohle anderer beitragen. Das alles schließe einander nicht aus. „Wir brauchen einander. Europa ist für mich ein Kontinent des UND und nicht des ENTWEDER ODER.“

Nur gemeinsam stark

Alleine könne kein Staat die großen anstehenden Probleme lösen, gemeinsam schon. "Gemeinsam können wir an einem Europa arbeiten, an dem Menschenrechtsprinzipien wie Freiheit und Respekt vor dem anderen eine Chance haben, an einem Europa, in dem Sicherheit, Wohlstand und sozialer Friede zu Hause sind."  Aber man müsse daran arbeiten. Europa sei unvollständig und verletzlich. "Die Notwendigkeit von Zweifel ist mir bewusst, aber die Zuversicht muss den Zweifel überwiegen, sonst werden wir keine Verbesserungen bewirken können."

Appell an die Jungen

Van der Bellen wiederholte seinen flammenden Appell an die Jugend, den er auf ähnliche Weie schon bei seinem Amtsantritt formuliert hatte: "Ihr seid es, die die Welt neu bauen werden, die dieses Europa neu bauen werden. Wir, die Älteren, wir brauchen euch. eure Leidenschaft, eure Ideen, euren Widerspruch, euren Respekt, eure Talente, eure Zuversicht, so wird dieses Europa weiterbestehen."

Gemeinsam müssten Jung und Alt, die Herausforderungen meistern. "Wir dürfen nicht zulassen, dass den Jüngeren Europa gestohlen wird."

Van der Bellen richtete sich an alle die, die sich zunehmend von antieuropäischen Kräften bedrängt fühlten: „Ich will allen proeuropäischen Kräften Mut machen: Es ist möglich, mit einer glasklaren proeuropäischen Haltung auch Wahlen zu gewinnen. Meine Wahl war eine klare Absage an den aufkeimenden Nationalismus, an den Protektionismus, an den Populismus.“

Freude und Dankbarkeit

Fast durchgehend Freude und Lob bis hin zu Dank erntete der Besuch von Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Dienstag in Straßburg bei denn heimischen Europaabgeordneten. Der Leiter der ÖVP-Delegation, Othmar Karas, würdigte Van der Bellen als "Mutmacher". Die SPÖ-Delegationsleiterin Evelyn Regner sprach von einer erfreulichen Visite. Die Grüne Delegationschefin Ulrike Lunacek sagte, Van der Bellen verbreite Zuversicht, er stehe für ein starkes Europa. 

Nur die FPÖ ist nach wie vor skeptisch: Ob es sich, wie EU-Ratspräsident Donald Tusk gemeint habe, um den "Hoffnungsträger Europas" handelt, das "stellen wir schon infrage", meinte Franz Obermayer von der FPÖ-Delegation. Ihm komme es vor, als ob das "letzte Aufgebot ins Rennen geschickt" wird.

Am Montag hatte das Staatsoberhaupt in Brüssel indes mit Kommissionschef Jean Claude Juncker und dem Präsidenten des Europäischen Rates, Donald Tusk, die "aktuelle Situation in der EU" besprochen. Am Donnerstag und Freitag wird Van der Bellen zu seinem ersten bilateralen Besuch in der Schweiz erwartet. Die Eidgenossenschaft ist kein EU-Mitglied, der Union aber mit bilateralen Verträgen eng verbunden.