Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) hat seine Pläne zum Demonstrationsrecht am Freitag relativiert. Bei der besonders umstrittenen Forderung nach Haftung des "Veranstaltungsleiters" für Schäden stellte Sobotka klar, dass diese nur schlagend werden soll, wenn sich dieser selbst rechtswidrig verhält. Und bezüglich "Spaß-Demos" gehe es ihm um die Abgrenzung von Demonstration und Veranstaltung.

Sobotka versicherte in einer Aussendung, die Meinungsfreiheit als Grundrecht erhalten und nicht einschränken zu wollen. Der Vorschlag für ein neues Versammlungsrecht werde "selbstverständlich verfassungskonform und entsprechend der Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention" vorgelegt. Der Gesetzestext sei derzeit in Finalisierung und werde in den nächsten Tagen der SPÖ übermittelt.

Gegen die von Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) geplante Einschränkung des Demonstrationsrechts hatte sich zuvor eine breite Allianz der Zivilgesellschaft formiert. Besonders heftig war der Umstand kommentiert worden, dass ein sehr scharfer Kommentar gegen den Innenminister auf futurezone.at erschienen, dann jedoch wieder gelöscht worden war. Inzwischen ist er wieder online:

Im Netz wurde Sobotka blitzartig auf die Schaufel genommen: Im Notfall müsse es auch erlaubt sein, für ihn zu demonstrieren:

Von Seiten der Politik gab kaum jemanden, der dem Vorstoß des Innenministers einen humorvollen Aspekt abgewinnen konnte. Aus der SPÖ kam scharfer Protest: Kanzler Christian Kern richtete dem Minister aus Malta aus, die Regierung habe ein derart umfassendes Sicherheitspaket vorgelegt, dass das Innenministerium damit eigentlich ausgelastet sein sollte.  Das Recht der freien Meinungsäußerung stehe jedenfalls über allen Geschäftsinteressen.

Der Chef der roten Gewerkschafter, Wolfgang Katzian, warf Sobotka "Ignoranz und Ahnungslosigkeit" vor und forderte die ÖVP auf, ihren Minister einzubremsen. Für SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim sind die Vorschläge "völlig inakzeptabel". Ihm missfällt insgesamt der "Tonfall" des Innenministers, dem er attestiert, "die Schwachstelle in der Regierung" zu sein. 

Sobotka will das Demonstrationsrecht deutlich einschränken. Wie die "Presse" am Donnerstag berichtet hatte, sollten Demonstrationen verboten werden können, wenn Geschäftsinteressen bedroht würden. Außerdem sollte künftig ein "Versammlungsleiter" für Sachbeschädigungen durch Demonstranten haften. Scheint kein Versammlungsleiter auf, sollte der Behördenvertreter feststellen, wer die Demonstration leitet.

Sogar der Interessensvertretung der Händler geht das zu weit. Sehr wohl wünschenswert wären aus Sicht des Handelsverbandes längere Vorwarnzeiten, deklarierte Demozonen sowie ein Ansprechpartner bei jeder Demonstration. "Die zivilrechtliche Haftung des Versammlungsleiters ist hingegen aus demokratiepolitischer Sicht kritisch zu betrachten." 

"Spaßdemos" verboten

Regierung bzw. Innenminister sollen per Verordnung ein Demonstrationsverbot erlassen können, wenn berechtigte Interessen verletzt würden - etwa weil Geschäfte wirtschaftliche Einbußen fürchten müssen oder massive Verkehrsbehinderungen drohen. "Spaßdemos" will Sobotka dem Bericht zufolge untersagen lassen, für Gegendemonstrationen einen Mindestabstand von 150 Metern festlegen und die Frist zur Anmeldung von Kundgebungen von 24 auf 72 Stunden erhöhen. Über einen fertigen Gesetzesentwurf verfügt Sobotka aber noch nicht.

Am Freitag präzisierte er in Bezug auf die "Spaß-Demos", es müsse nach einer Vorgabe des Verfassungsgerichtshofes der Begriff der "Versammlung" genauer definiert werden - also wann eine grundrechtlich geschützte Versammlung vorliegt und wann eine Veranstaltung nach dem Veranstaltungsgesetz. "Beides wird weiterhin in vollem Umfang möglich - aber eben unter den jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen abzuhalten sein", versicherte Sobotka. 

"Das Recht auf freie Meinungsäußerung und somit auf Demonstrationen ist aus gutem Grund in der Verfassung verankert und kann glücklicherweise nicht auf Zuruf geändert werden. Ein insbesondere von Gewerkschaften hart erkämpftes Grundrecht ist kein Spielfeld für Politiker mit Profilierungsdrang", kritisierte Katzian die "Verhaltensauffälligkeiten" Sobotkas. "Das Demonstrationsrecht ist genau wie die Pressefreiheit, das Versammlungsrecht oder das Koalitionsrecht Grundpfeiler jeder Demokratie."

Exkremente mit "Republikrelevanz"

Jarolim stößt sich insbesondere auch daran, dass der Innenminister die Sinnhaftigkeit der Videoüberwachung damit argumentierte, dass "vor meiner Haustüre - vor vielen Jahren - immer wieder menschlicher Kot lag" und das "sofort vorbei" gewesen sei, "als ich eine Kamera aufgestellt habe". "Es kann nicht sein, dass Exkremente vor der Minister-Tür Republikrelevanz entfalten", stellte der SPÖ-Justizsprecher fest.

Auch Heinz Patzelt von Amnesty International kritisierte im Ö1-Morgenjournal "serienweise schwerst menschenrechtswidrige, verfassungsrechtlich undenkbare Vorschläge" Sobotkas. Am Demonstrationsrecht dürfe nicht herumgedeutelt werden. Das gilt aus Patzelts Sicht auch für "Spaßdemos": "Ich nehme sehr viel lieber eine Spaßdemo in Kauf, die allen lästig ist und unzweifelhaft das Demonstrationsrecht konterkariert, als einen Innenminister und eine Regierung zu haben, die entscheidet, wer gegen sie demonstrieren darf und wer nicht."

Online-Petition

Die Menschenrechtsorganisation SOS-Mitmensch hat bereits eine Online-Petition gegen die Beschränkung des Demonstrationsrechts gestartet. Ziel sindvorerst 5.000 Unterschriften, 3.000 Bürgerinnen und Bürger haben bereits unterzeichnet. Ebenfalls online mobilisiert der Verein epicenter.works (früher AK-Vorrat) gegen die Überwachungspläne der Regierung. Und der Österreichische Journalisten Club (ÖJC) hat eine Hotline eingerichtet (0650/9828555), bei der allfällige Verletzungen der Pressefreiheit bei den Akademikerball-Demos am Freitagabend gemeldet werden können.

Die Umweltorganisation Greenpeace fordert Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) auf, Sobotkas "demokratiepolitisch inakzeptablen Vorschlag" umgehend zurückzuweisen. Die geforderte Haftung des Demonstrationsleiters für Sachbeschädigungen könnte laut Greenpeace-Geschäftsführer Alexander Egit für kleinere Initiativen und Privatpersonen "den sicheren Ruin" bedeuten. "Wie stellt sich der Innenminister das vor: einen einzelnen Versammlungsleiter für das Verhalten von mehr als 100.000 DemonstrantInnen verantwortlich und haftbar zu machen?", fragt sich auch Lui Fidelsberger von der HOSI Wien, die mit der jährlichen Regenbogenparade eine der größten Demonstrationen der Stadt organisiert.

"Vorgehensweise wie Erdogan"

"Die Versammlungsfreiheit ist in der Demokratie ein hohes Gut. Damit spielt man nicht", ließ schon am Donnerstag SPÖ-Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler wissen. Der für Verfassungsfragen zuständige SPÖ-Minister Thomas Drozda richtete aus, man warte auf den konkreten Gesetzesentwurf. Der Verfassungsdienst werde diesen dann auf seine Grundrechtskonformität prüfen. Im Übrigen stehe Drozda dem Innenminister jederzeit auch für ein persönliches Gespräch zur Verfügung, so sein Sprecher.

Für den Grünen Verfassungssprecher Albert Steinhauser ist die angedachte Einschränkung des Demonstrationsrechts inakzeptabel. "Innenminister Sobotka hat keinen Respekt vor der Verfassung und ihren Grundrechten. Derartige Vorstöße erinnern an die politische Vorgangsweise des türkischen Staatspräsidenten Erdogan", meinte er in einer Aussendung.

Demonstrations-Organisatoren für eventuelle Sachbeschädigungen anderer haftbar zu machen, würde im Ergebnis heißen, dass niemand mehr das Risiko eingehen werde, eine Demonstration auf die Beine zu stellen, meinte Steinhauser. Für ihn ist es an der Zeit, dass ÖVP-Parteichef Reinhold Mitterlehner und SPÖ-Kanzler Christian Kern ihren "wild gewordenen Parteikollegen bzw. Innenminister zur Räson bringen".

Die Wiener ÖVP reagierte hingegen freudig. Landesparteiobmann Gernot Blümel sah "die richtigen Schlüsse aus der explodierenden Demoflut in Wien gezogen", ebenso wie City-Bezirksvorsteher Markus Figl.

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