Dieser Artikel erschien Ende Dezember 2016 anlässlich des  70. Geburtstages von Erwin Pröll.

War es der Zufall oder der liebe Gott? Vor 44 Jahren kreuzten sich die Wege des Weinviertler Bauernsohns Erwin Pröll und des ÖVP-Bauernbunddirektors Sixtus Lanner. Kurz darauf war der junge Agrarökonom auch schon als wirtschaftspolitischer Referent für den Bauernbund engagiert. Und eine der außergewöhnlichsten innenpolitischen Karrieren konnte ihren Lauf nehmen.

Was daraus wurde, ist hinlänglich bekannt: Wenn Pröll, der als „Christkind“ auf die Welt kam, am Heiligen Abend seinen 70. Geburtstag feiert, ist das nur das Vorspiel zu einer noch viel größeren „runden“ Festivität im Oktober 2017. Dann nämlich steht das 25-jährige Dienstjubiläum als Landeshauptmann von Niederösterreich ins Haus.

Pröll ist damit der längstdienende Regierungschef des Bundeslandes, und er hat vermutlich noch nicht genug: Die Auguren in St. Pölten sind sich einig, dass der kunstsinnige und machtbewusste Landesfürst bei der Landtagswahl im Frühjahr 2018 zum sechsten Mal als Zugpferd ins Rennen gehen wird.

Dabei startete seine Landeshauptmann-Ära mit einem Dämpfer. Im Herbst 1992 hatte Pröll von Vorgänger Siegfried Ludwig das Zepter übernommen. Bei seiner ersten Landtagswahl 1993 verlor die ÖVP die absolute Mehrheit, eine Koalition mit der SPÖ war die Folge.

Doch die „Dampfwalze“ Pröll gab nicht klein bei, fügte sich nicht in den scheinbar unabwendbaren Abwärtstrend des schwarzen Lagers in Bund und Bundesländern. Stattdessen hauchte er dem Begriff „Volkspartei“ neues Leben ein: Durch zähes Beziehungsmanagement und kühle Machtpolitik mehrte er stetig die Zahl jener Landesbürger, die sich dem System Pröll zugehörig oder zumindest verpflichtet fühlten. Die Ernte fuhr er zehn Jahre später ein: Mit 53,3 Prozent holte er glanzvoll die „Absolute“ zurück. Bis heute hat er sie nicht wieder aus der Hand gegeben.

Pröll kultivierte über die Jahre das Image des bodenständigen, auch unberechenbaren Landesfürsten, der mit Inbrunst absolut regiert. Über seine Herrschaft bei Hofe kursieren Schauergeschichten, die nicht selten von despotischen Allüren erzählen. Allerdings - und das ist wohl der Angelpunkt dieser Ära - gab sich der Landesvater niemals der Illusion unbegrenzter Machtfülle hin. Das Gespür für die nötige Bodenhaftung hat er sich bis ins Detail bewahrt.

Ganz im Gegenteil versteht es Pröll wie kein anderer, in einem Permanentmodus das Rad der Sympathiewerbung in Schwung zu halten. Ob gerade Wahlkampf ist oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Nie reist er ohne Fotografen durchs weite Land. Sie lichten in seinem Schlepptau gnadenlos jeden Landesbürger ab, der nicht bei drei auf den Bäumen ist. Die Bilder werden dann per Post zugestellt - mit lieben Grüßen vom Doktor Pröll.

Dass er wie kein anderer schmeicheln kann, davon wissen Legionen von Künstlern im Land an der Donau ein Lied zu singen. Man betrete als kritischer Künstler sein Büro und komme als Mitglied des Pröll-Unterstützerkomitees wieder heraus, lautet ein Diktum in der Kunstszene. Der Regierungschef verteilt unablässig Stipendien, gewährt Fördergelder, restauriert Museen, Galerien und Schlösser, richtet prunkvolle Festspiele aus. Die Hegemonie ist alles andere als dezent - es wird geklotzt, nicht gekleckert. Das von Pröll initiierte und von Rudolf Buchbinder geleitete Grafenegg-Festival zählt inzwischen zu den bedeutendsten Orchesterfestspielen Europas und gilt zugleich als Hochamt Pröll'scher Landesherrlichkeit.

Wer darin nur Kalkül sieht, der irrt jedoch. Man nimmt es dem Politiker ab, dass er sich wirklich eine lebendige und (in Maßen?) auch kritische Kunstszene wünscht. In seinem Amtszimmer in St. Pölten hängen drei Bilder von Hermann Nitsch. Diesen Unbequemen und weithin Unverstandenen hat Pröll früh gefördert. Im Wahlkampf 1998 wurde er aus konservativen Kreisen bestürmt, die Mysterienspiele im niederösterreichischen Schloss Prinzendorf verbieten zu lassen. Pröll stellte sich demonstrativ hinter den Künstler.

Obwohl er intern die kurze Leine führt, sieht Pröll seine Machtbasis eben nicht in der Partei und auch nicht in seinem engeren Hofstaat. Dort griff er mitunter kräftig daneben - schlimmster Personalflop war wohl sein Ziehsohn Ernst Strasser, der später wegen Bestechlichkeit ins Gefängnis musste.

Weil Pröll um die Zerbrechlichkeit politischer Achsen weiß, präferiert er das Bündnis mit den „einfachen Bürgern“. Der Niederösterreicher war schon Populist, als das Wort noch nicht im Lexikon stand. Konflikte wie beim Semmeringtunnel nutzt er instinktsicher, um sich als Landesverteidiger von Babenberger Gnaden zu inszenieren.

Seine Selbstironie dient als Kontrastmittel zu den harten Ausprägungen der Macht. Unübertroffen parodiert er seine Glatze samt Haarkranz, die zur politischen Marke wurde. Der flapsige Spruch, wonach er nur Karl Mays „Schatz im Silbersee“ gelesen habe, wurde vom Publikum allerdings als Wahrheit missverstanden.

Zum Drehbuch gehört auch die teils surreale, teils sehr reale Machtfülle auf Bundesebene, wo Pröll als Königsmacher für jede Art von Bundesparteiobmann und Vizekanzler gilt. Dass Koalitionsgespräche stets ein Placet aus St. Pölten benötigen, ist geradezu Bestandteil der Realverfassung. Und eine fixe Requisite der blau-gelben Folklore ist auch Prölls Dauerrolle als Beinahe-Hofburg-Kandidat.

Trotzdem wird einem mit diesem Langzeitmachthaber nie langweilig. Denn der Landesfürst sorgt verlässlich dafür, dass seine Rolle ständig changiert. Die neueste Nuance ist eine Art Altersmilde. Je älter er werde, desto intensiver frage er sich, „ob sich manche Konflikte ausgezahlt haben“, sagte Pröll unlängst gnädig dem „Standard“. Nur soll sich halt niemand täuschen: Es ist noch kein Jahr her, dass der Westwind von der Traisen wieder einmal besonders scharf Richtung Wien blies. Die von Pröll aufgezwungene Regierungsumbildung mitten im Hofburg-Wahlkampf versetzte der ÖVP-Wahlbewegung den Todesstoß. In St. Pölten mag man das freilich als Vitaminstoß empfunden haben.