Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) gibt Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) Rückendeckung in Sachen  Asyl-Sonderverordnung. Im APA-Interview hält er die Vorlage eines Begutachtungsentwurfs dafür am 6. September für möglich.

"Anfang September findet noch ein Gespräch auf der Ebene der Innen- und Verteidigungsminister zwischen Österreich und Ungarn statt", sagte Kern. "Dort müssen die Voraussetzungen geschaffen werden, um die Verordnung umsetzen zu können und Menschen auch nach Ungarn zurückzubringen. Wenn das gelingt, halte ich den Ministerrat am 6. September für ein gutes Datum, um den fertigen Text in Begutachtung zu schicken."

Für Kern liegt der Ball bezüglich der sogenannten Sonderverordnung bei Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP). Wenn die offenen Fragen geklärt seien, "dann werden wir es im Ministerrat behandeln, wenn nicht, müssen wir nacharbeiten".

"Keine emotionale Frage"

Für den Bundeskanzler ist das "keine emotionale Frage". Er bekennt sich zur Begrenzung der Zuwanderung, "diese ist in den letzten Monaten auch massiv gesunken". Aber Österreich müsse sich auch darauf vorbereiten, was passiere, wenn sich die Lage in Nordafrika und der Türkei verändere und erneut mehr Flüchtlinge kommen sollten. Diese Vorbereitung müsse aber juristisch sauber und unter Einhaltung der Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit erfolgen und so, dass es auch wirklich funktioniert.

Rahmenbedingungen klären

Grundsätzlich müssten für ein etwaiges Inkrafttreten der Notverordnung aber drei Punkte sichergestellt sein:

  • Zum einen die technische Umsetzbarkeit mit Aufnahmezentren, Grenzsicherungskonzept und Personal. Hier sei man "auf gutem Weg".
  • Zum zweiten die juristische Umsetzbarkeit, hier seien "noch nicht alle Fragen geklärt". Kern plädiert hier für ein "sorgfältiges Verfahren", weil auch dem Innenministerium nicht geholfen sei, wenn die Verordnung vom Europäischen Gerichtshof innerhalb kürzester Zeit wieder aufgehoben werde.
  • Zum dritten funtioniere eine solche Verordnung nur, wenn es auch Rücknahmevereinbarungen mit Ungarn, Slowenien und Italien gebe. Das sei alles noch zu tun.

ÖVP widerspricht

Hier widerspricht die ÖVP: ÖVP-Generalsekretär Peter McDonald will die Entscheidung über ein Inkrafttreten der Notverordnung nicht von Österreichs Nachbarn abhängig machen. "Wir brauchen den Dialog zu unseren Nachbarstaaten, dürfen uns aber nicht von ihren Entscheidungen abhängig machen. Bis wir keine effektiven europäischen Maßnahmen spüren, braucht Österreich nationale Maßnahmen, um die Interessen der Bürger zu wahren. Das Recht auf Zurückweisung an unseren Grenzen sollte eine davon sein", unterstrich McDonald.

Hoffnung, dass Außengrenze hält

Der Bundeskanzler hält es für besonders wichtig, die EU-Außengrenze zu schützen. Österreich leiste dazu einen Beitrag, etwa an der Grenze Ungarns zu Serbien und nach den Gesprächen mit dem serbischen Ministerpräsidenten Vucic zukünftig auch an der serbisch-mazedonischen Grenze. "Wenn das funktioniert und der Türkei-Deal hält, werden wir möglicherweise mit der Obergrenze zurande kommen", hofft Kern, die vereinbarte Marke von 37.500 Asylverfahren vielleicht auch ohne Anwendung der Sonderverordnung nicht zu überschreiten.

"Andere Kooperation" mit der Türkei

Mit der Türkei will Kern statt  der EU-Beitrittsverhandlungen Gespräche über andere Kooperationsformen beginnen.  Auf EU-Ebene soll eine Initiative dazu vorbereitet werden. Der Kanzler geht davon aus, dass auch die Türkei großes Interesse daran hat, den Flüchtlingsdeal mit der EU beizubehalten, weil sie sonst die Gesamtkooperation infrage stellen würde. "Wenn dieser Deal an der Illusion von Beitrittsgesprächen hängt, dann haben wir sowieso ein großes Problem."

"Realitätssinn gefragt"

Kern ruft dazu auf, einen Weg der Kooperation in der Wirtschafts-, Sicherheits- und Migrationspolitik mit der Türkei festzulegen, "der auch von Realitätssinn getragen ist". "Solange wir an der Fiktion der Beitrittsverhandlungen festhalten, nützen wir nicht die Zeit, um neue Form der Zusammenarbeit entwickeln", meinte der Bundeskanzler. Mit Türkei-Bashing habe das nichts zu tun.

Die Hypothese, dass man über einen Verhandlungsprozess die Türkei stärker an Europa binden kann, habe sich "als falsch" herausgestellt. In diesem Zusammenhang wies Kern auch die Kritik von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker an seiner Forderung nach Abbruch der Beitrittsverhandlungen zurück. An dieser Fiktion  festzuhalten führe "zu gar nichts, außer dass uns die Leute fragen, ob wir noch ernst zu nehmen sind, ob wir das Eintreten für Demokratie, Meinungsfreiheit und Pressefreiheit überhaupt noch ernst nehmen".

"Kein Öl ins Feuer gegossen"

Den Vorwurf, mit seiner Forderung nach Abbruch der Beitrittsverhandlungen Öl ins Feuer gegossen zu haben, kann Kern "ganz und gar nicht" nachvollziehen. Auch dass er aus innenpolitischen Überlegungen gehandelt habe, sei ein "falscher" Vorwurf. Zur aufgeheizten Stimmung in der türkischen Community in Österreich hielt Kern fest, dass die Menschen ihre Meinung ausdrücken könnten, auch wenn das nicht gefalle. Umgekehrt müssten aber die westlichen Werte akzeptiert werden - keine Gewalt, auch nicht in der Familie, keine Frauendiskriminierung, und die Religion müsse sich aus der Politik heraushalten.