Die griechische Regierung will der Euro-Gruppe am Montag ihr angemahntes Reformpaket vorlegen. Haben Sie Sorge, dass die neue griechische Regierung das Land endgültig an die Wand fährt?

METROPOLIT ARSENIOS KARDAMAKIS: Ich bete, dass die Regierung nicht zu viele Fehler macht. Griechenland braucht Politiker, die das Land , Europa und die Menschen lieben. Die neue Regierung muss achtsam sein, denn sie hat viel versprochen, und die Griechen wollen nicht schon wieder enttäuscht werden. Syriza hätte Anfang Februar die Chance gehabt, Europa zu verändern, ein neues Kapitel in der Europapolitik aufzuschlagen, die nicht nur vom Spardiktat bestimmt wird, doch diese Chance wurde verpasst.

Sowohl Papst Franziskus als auch der griechisch-orthodoxe Erzbischof Hieronymos üben massiv Kapitalismuskritik und fordern mehr soziale Gerechtigkeit ein: Erstaunlich links, finden Sie nicht?

KARDAMAKIS: Man sagt ja auch, dass Jesus ein Linker war (lacht). Was bedeutet Christentum überhaupt? Teilen wir, geben wir. Die Kirche hat im Laufe der Geschichte viele Fehler gemacht und auf das Geld gesetzt. Um dafür Kultur und Zivilisation zu gründen, ist es gut, aber nicht, um es auf die Bank zu tragen.

Ende März droht Griechenland wieder einmal die Staatspleite: Wie haben all die Hiobsbotschaften das Land verändert?

KARDAMAKIS: Von einem Tag auf den anderen gab es nur noch das Notwendigste zum Leben. Mit der Krise sind aber auch Werte wie Solidarität, Menschenwürde und Mitmenschlichkeit wieder stärker geworden. Jeder hilft, wo er kann; wohl auch, weil niemand weiß, ob morgen nicht er selbst derjenige ist, der Hilfe braucht.

Portugal und Irland haben ihre Hausaufgaben gemacht – nur Griechenland nicht. Ist dieser Vorwurf berechtigt?

KARDAMAKIS: Fünf Jahre schon gibt es das rigorose Sparprogramm, doch die wirtschaftliche Situation ist nicht bessern, sondern schlimmer geworden. Griechenland hat mehr Schulden denn je. Die neue Regierung hat null Bewegungsspielraum. Wenn die EZB keine Bewegungsmöglichkeiten schafft, ist es Ende März vorbei. Will das Europa? Muss der schlechte Schüler tatsächlich bestraft werden, oder hilft man ihm dabei, besser zu werden? Deutschlands Politik ist für mich eine Bestrafungspolitik, und das ist nicht christlich. Der europäische Weg ist nicht christlich.

Höre ich da Sympathie für die Linkspartei heraus?

KARDAMAKIS: Ich unterstütze als Grieche die neue Regierung. Ich will, dass sie ihre Arbeit gut macht. Schafft sie das nicht, werden Hunderttausende Menschen hungern. Und das will ich nicht.

Der griechische Finanzministers Yanis Varoufakis wirkt oft so, als würde er sich morgens sagen: „Denen zeig’ ich’s heute!“ Ist eine solche Haltung die Basis für ein gutes Miteinander?

KARDAMAKIS: Ich will ehrlich sein. Ich habe mich auch gefragt, ob Varoufakis jetzt als Finanzminister wirklich dem Land dienen will, oder ob er auf diesem Weg nur bekannt werden möchte, damit dem Wirtschaftsprofessor später noch mehrere Türen offenstehen. Ich bete, dass er zuerst an Griechenland denkt.

Der deutsche Nationalökonom Max Weber nannte drei Qualitäten, die ein guter Politiker haben muss: Leidenschaft, Verantwortungsgefühl, Augenmaß. Sehen Sie das bei der neuen Regierung?

KARDAMAKIS: Ich hoffe es. Bei jedem Menschen, der an die Macht kommt, besteht die Gefahr, dass er sich im Machtrausch verliert, wenn er auf keinem stabilen charakterlichen Fundament steht. Diese Gefahr gilt übrigens auch bei Priestern oder Bischöfen, denn auch wir sind nicht immer frei vom Glauben, das Zentrum der Welt zu sein. Aber das Zentrum für unsereinen ist Christus, und für einen Politiker sollte es die Bevölkerung sein.

Kirche und Staat waren in Griechenland immer stark verwoben, was auch Kritik hervorruft.

KARDAMAKIS: Auch ich gehöre zu den Kritikern. Ich bin dafür, dass es eine gute Beziehung zwischen Kirche und Staat gibt, aber keine Beziehung wie bisher, in der der Staat der Chef der Kirche ist, alles entscheidet und auch noch der gute Polizist ist, der die Kirche beschützt. Besonders schlecht finde ich, dass wir als Geistliche und Kleriker unter dem Schutz des griechischen Staates Teil der Administration sind. Hier in Österreich ist das besser.

Die griechisch-orthodoxen Priester werden vom Staat bezahlt, ist auch deren Gehalt im Laufe der Krise gekürzt worden?

KARDAMAKIS: Natürlich, wir alle bekommen weniger. Das Gehalt der Priester wurde um 30 bis 40 Prozent gekürzt. Dazu kommt das Fünf-für-Eins-Prinzip: Erst wenn fünf Priester in Pension gegangen sind, wird ein neuer eingestellt.

In der griechisch-orthodoxen Kirche gibt es auch Priester mit Familie. Ein Drittel weniger Gehalt wiegt da schon schwer.

KARDAMAKIS: So ist es. In Kreta kenne ich einen Priester, der im Sommer in einem Hotel in der Nähe von Iraklio kellnert, was er eigentlich nicht machen dürfte. Doch der Erzbischof hat es ihm erlaubt, weil er seine Familie sonst nicht ernähren könnte.
Sie sind seit 2011 Metropolit von Österreich, 2014 erhielten sie auch die österreichische Staatsbürgerschaft.

Stehen die Österreicher den Griechen näher als die Deutschen?

KARDAMAKIS: Ja, das denke ich schon. In Österreich habe ich mich sofort zu Hause gefühlt, mehr als in Deutschland, muss ich sagen. Hier wurde ich sofort mit offenen Armen empfangen. Überall gibt es Freunde Griechenlands, und rundum haben mich die Menschen unterstützt, obwohl ich Ausländer war.

Warum ist die Kommunikation zwischen Deutschen und Griechen mitunter schwieriger?

KARDAMAKIS: Weil die Mentalitätsunterschiede wirklich groß sind. Ich glaube, der klassische Deutsche ist jemand, der sehr korrekt auf sein Ziel zusteuert. Oft aber fehlt ihm das Verständnis für den Schwachen, der sein Ideal nicht erreicht. In Griechenland ist die Gastfreundschaft legendär, auch der Fremde wird herzlich aufgenommen. Das Problem des Griechen ist, dass er nicht immer alles so genau nimmt und zwischendurch seinen Realitätssinn verliert. Aber im Grunde wollen beide einen guten Weg finden, und das müsste ja Hoffnung geben.

Und wenn Europa doch die Geduld mit Griechenland verliert?

KARDAMAKIS: Sind wir eine europäische Familie? Dann müssen wir einander helfen. Was wollen wir? Die griechische Bevölkerung strafen, weil die Regierungen schwerwiegende Fehler gemacht haben? Sollen wir auch die Österreicher wegen des Hypo-Skandals bestrafen? Wir Österreicher haben diese Entscheidungen nicht getroffen, aber wir müssen zahlen. Ich auch, weil ich hier lebe. So ist das.