Die Regierung versucht, den Staatshaushalt in den Griff zu bekommen. Wo würde Sie als ehemaliger Finanzminister ansetzen?

HANNES ANDROSCH: Man muss das machen, wie ein Rallyefahrer.

Viel Staub aufwirbeln?

ANDROSCH: Vor der Kurve voll auf die Bremse, dann wieder aufs Gas, um die Touren mitzunehmen. Man muss vorausschicken, dass das Budget nicht wegen der Krise in Schieflage ist, sondern sich seit 25 Jahren falsch entwickelt hat. Der Familienlastenausgleichsfonds hat vier Milliarden Euro Schulden, bis 2003 gab es über Jahrzehnte Überschüsse. Statt das Pensionsalter der Altersentwicklung anzupassen, ist man heute bei der Formel 30 Jahre arbeiten, 30 Jahre Pension. Das kann nicht funktionieren. Der opulente Speckgürtel muss weg.

Bitte etwas konkreter.

ANDROSCH: Wir verschwenden an allen Ecken und Enden, und es gibt Sozialmissbrauch. Bei der Steuerquote und den Transfereinkommen dürfte es niemanden unter der Armutsgrenze geben. Gibt es aber. Daneben kenne ich eine Großkommune, wo jeder Mitarbeiter sich im Jahr fünf Wochen an Krankenstand erschwindelt. Ich selbst hatte zwei Mitarbeiter, die binnen eines Jahres 200 Krankenstandstage hatten, aber gleichzeitig ihre Häuser bauten. Als wir die rausgeworfen haben, hat nicht einmal der Betriebsrat etwas sagen können. Da muss man durchgreifen.

An welchen Vorbildern kann man sich orientieren?

ANDROSCH: Die Bayern zahlen umgerechnet um 15 Milliarden Euro weniger an Steuern, die Schweizer 20 Milliarden. Keiner wird sagen, dass deren Infrastruktur, Gesundheitswesen oder Wohlfahrt schlechter ist. Ihre Universitäten und Bildungseinrichtungen haben mehr Innovationskraft. Man muss in Wachstum und Bildung investieren. Ohne Wachstum laufen wir hoffnungslos unserem Schuldenberg hinterher. Die drei Jahre seit der Lehman-Pleite haben wir schon verschwendet.

Bereiten Ihnen knapp 350.000 Arbeitslose schlaflose Nächte?

ANDROSCH: Mich ärgern die vier Milliarden Mehrausgabe an Arbeitslosengeld, die wir im Vergleich zu den maximal 60.000 Arbeitslosen in meiner Politiker-Zeit zahlen. Weil 100.000 Arbeitslose nur eine Kostenauslagerung der Betriebe aus dem Saisonbereich sind. Ich kenne einen Floristen, der das so macht. Auf die Frage, wie er Spitzen-Zeiten wie Weihnachten abdeckt, meinte er: Unter der Budel.

Wäre der nicht ein Fall für die Steuersünder-Liste, die Ihr Genosse Kräuter vorgeschlagen hat?

ANDROSCH: Hören's auf mit diesen Voodoo-Steuervorschlägen! Daran erkennt man, dass das System der Steuereinhebung und die Hebelwirkung einer Steuer nicht verstanden werden. Eine Steuer ist wie eine Medizin - richtig dosiert bringt sie was, in der falschen Dosis ist sie ein Gift. Das ist wie bei der Wertzuwachssteuer bei Aktien. Abgesehen davon, dass die Wiener Börse ruiniert wurde, brachte sie nichts. Im Übrigen sind die Zeiten der Inquisition vorbei, und es gibt schließlich Menschenrechte.

Steuern zahlen ist Bürgerpflicht, Hinterziehen kein Menschenrecht.

ANDROSCH: Das Problem liegt tiefer. Es gibt den gesetzlichen Missbrauch, wie die Hacklerregelung und den geduldeten Missbrauch, mit den 100.000 illegalen Pflegekräften, ohne die das System nicht funktioniert. Es gibt Bundesländer, rote und schwarze, wo Leute im Schnitt mit 52 in Pension gehen, Berufsstände, die ein Pensionsalter von 50 haben. Solange wir diese Dinge nicht beseitigen, kann man dem Floristen keinen Vorwurf machen. Man muss bei der Arbeitsmarktverwaltung strenger ansetzen.

Sie haben wieder ein Volksbegehren ausgerufen - für mehr Demokratie. Beim Bildungsvolksbegehren fragte eine Leitartiklerin: Hat Androsch in der SPÖ so wenig Durchsetzungsvermögen, dass er ein Volksbegehren starten muss?

ANDROSCH: Ich muss mich nicht in der SPÖ durchsetzen, sondern gegen Neugebauer und Pröll. Und was war der Effekt des Bildungsvolksbegehrens? Wir hatten zwölf Monate lang die Aufmerksamkeit, jetzt wurde im Parlament ein eigener Ausschuss eingesetzt. Das Thema ist so weit vorangetrieben, dass keine Partei zurück kann, ohne politischen Schaden zu nehmen. Und für die nächste Wahl gibt es neben dem Sparen und einem Ausschuss, der die Sauereien der letzten Jahre aufdeckt, ein positives Thema.

Müssen Sie Makel in Ihrer Biografie aufpolieren, dass Sie nun für neuen Föderalismus, mehr Demokratie, freie Medien und eine Reform der Parteien eintreten?

ANDROSCH: Ich hatte das Glück ein Leben in Frieden, Freiheit und Wohlstand genießen zu können und will, dass das nachfolgende Generationen auch können. Die Herren Mauhart, Sünkel und Schilcher sehen das ebenso. Aber natürlich: Schon im Eigeninteresse der jüngeren wäre es gut, wenn sich die auch engagieren würden.