Der Sieg gilt als ausgemacht. Die einzige Frage ist, ob die Mehrheit von Emmanuel Macron in der französischen Nationalversammlung haus- oder wolkenkratzerhoch ausfällt. Die zweite Runde der Parlamentswahl an diesem Sonntag ist der vorerst letzte Akt einer politischen Revolution, die das Gefüge des wichtigsten EU-Partners Deutschlands in wenigen Monaten grundlegend verändert.

Präsident Macron geht daraus definitiv als neuer starker Mann im Elyseepalast hervor - doch hat er damit freie Bahn zum Durchregieren?

Die Meinungsforschungsinstitute Harris Interactive und Opinionway erwarten, dass Macrons Lager 440 bis 470 der 577 Sitze in der Nationalversammlung erobern könnte. Das wären im höchsten Fall mehr als 80 Prozent der Nationalversammlung - eine erdrückende Mehrheit. Keine Präsidentenpartei war in den vergangenen Jahrzehnten so mächtig wie die Macrons. Die bürgerliche Rechte liegt je nach Institut bei nur noch 60 bis 90 Sitzen, die bisher regierenden, schwer gebeutelten Sozialisten mit ihren Verbündeten bei 20 bis 35. Das ist nichts weniger als ein Erdrutsch.

Die Hälfte der Kandidaten sind Quereinsteiger

Vor allem aber bringt die Macron-Welle einen echten Neuanfang auf die altehrwürdigen Bänke der Nationalversammlung. Die Hälfte der Kandidaten von La Republiqe en Marche sind Quereinsteiger, völlig neu in der Politik. Unter ihnen sind bekannte Figuren wie der Star-Mathematiker Cedric Villani, aber eben auch eine Vielzahl ganz neuer Gesichter. Villani sieht in der Unerfahrenheit einen Vorteil: Falls das Politgeschäft so kompliziert werde, dass es eine lange besondere Ausbildung erfordere, "dann gibt es ein demokratisches Problem", sagte er der Tageszeitung "Liberation".

Viele Neulinge: Das ist auch ein Risiko für Macron. Zahlreiche Abgeordnete werden sich erst in die Parlamentsarbeit einfuchsen müssen. Und weil er Leute sowohl rechts als auch links der Mitte anspricht, ist nicht ausgemacht, ob die neue Riesen-Fraktion auch bei allen Themen an einem Strang zieht. Andererseits ist die Mehrheit eben auch groß genug, dass Abweichler keine Gefahr sind.

Für seine Reform-Gesetze wird die Übermacht in der Nationalversammlung dem 39 Jahre alten Macron große Schlagkraft geben. Der Senat als zweite Parlamentskammer hat nur eingeschränkte Blockademöglichkeiten - im Konfliktfall hat die erste Kammer das letzte Wort. Und im Senat dominiert die bürgerliche Rechte, die gerade bei den geplanten Wirtschaftsreformen durchaus offen sein dürfte für Macrons Vorschläge.

Klar ist in jedem Fall, dass Macron aufs Tempo drücken wird. Er hat aus den Fehlern seines sozialistischen Vorgängers Francois Hollande gelernt - der hatte zwar anfangs sogar eine Mehrheit in beiden Parlamentskammern, zögerte aber lange mit überfälligen Reformen. Währenddessen erreichte die Arbeitslosigkeit immer neue Höhen und seine Beliebtheitswerte fielen in den Keller.

Die Gegner gibt es nun außerhalb des Parlaments

Macron wird trotz seines Durchmarschs auf Widerstände stoßen, doch die dürften eher von außerhalb des Parlaments kommen. Gegner argumentieren jetzt schon, dass der Präsident trotz der Riesenmehrheit kein Mandat für seine liberalen Reformpläne bekommen habe - und verweisen auf den extrem hohen Anteil an Nichtwählern, der in der zweiten Runde noch größer werden dürfte.

Gerade die radikale Linke dürfte versuchen, "die Straße" gegen Macron in Stellung zu bringen. Ob diese Mobilisierung Erfolg hat, ist entscheidend - schon viele Regierungen mussten in Frankreich Reformprojekte unter dem Druck von Massendemonstrationen aufgeben.

Umfragen zeigen, dass die Franzosen geteilter Meinung sind über die Macron-Welle und das deshalb von Euphorie ("Macronmania") nur eingeschränkt die Rede sein kann. Das Institut Elabe ermittelte für den Sender BFMTV, dass 52 Prozent unzufrieden sind mit dem Ergebnis der ersten Wahlrunde. Nur 47 Prozent sind zufrieden. 61 Prozent wollen, dass die zweite Runde eine etwas weniger starke Mehrheit für Macron bringt als erwartet.