Es sind Wahlen von einer Dramatik, wie sie die Fünfte Französische Republik noch nicht gesehen hat. Wenn am kommenden Sonntag fast 46 Millionen stimmberechtigte Franzosen für den ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl an die Urnen gebeten werden, entscheiden sie nicht nur darüber, wer in den nächsten fünf Jahren vom Élysée-Palast in Paris aus die Geschicke ihres Landes bestimmen wird. Aufgrund der Kandidaten, die sich der Wahl stellen, ist es diesmal gleichsam ein Votum über die Verankerung des Landes in Europa und damit ein für die EU insgesamt schicksalsträchtiger Tag.

Erstmals in der Nachkriegsgeschichte des Landes könnte nämlich der Fall eintreten, dass es mit Marine Le Pen, der Chefin des rechtspopulistischen Front Nation, und dem Linksaußen Jean-Luc Mélenchon zwei Politiker in die Stichwahl schaffen, deren deklariertes Ziel es ist, aus den europäischen Verträgen, dem Euro und der Nato auszusteigen. Das aber wäre nicht nur für die zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone eine Katastrophe. Auch die durch den Brexit geschwächte Europäische Union würde einen solchen Aderlass wohl kaum verkraften.

Frankreich - ein Schatten seiner selbst

Denn Frankreich ist nicht irgendein Land. Auch wenn es -bedingt durch große wirtschaftliche Probleme, durch seine Unfähigkeit, sich selbst zu reformieren, und die zögerliche Politik des nach nur fünf Jahren aus freien Stücken aus dem Amt scheidenden sozialistischen Staatsoberhaupts François Hollande (auch das eine Premiere!) - seit geraumer Zeit nur mehr als Schatten seiner selbst dahindümpelt, ist es gemeinsam mit dem deutschen Nachbarn doch der Motor der europäischen Einigung.

Diese steht und fällt mit der Achse, welche die zwei ehemaligen Erbfeinde seit nunmehr 60 Jahren bilden. Dass bei dieser Wahl jetzt plötzlich alles möglich ist und keine Überraschung ausgeschlossen werden kann, hat mit der außergewöhnlichen Dynamik zu tun und den jähen Wendungen, die den Wahlkampf in den letzten Tagen kennzeichnen. Sah es lange Zeit so aus, als würden sich die strammrechte Le Pen und der von den Medien gehätschelte ehemalige Hollande-Zögling und liberale Europäer Emmanuel Macron das Rennen um den Élysée-Palast untereinander ausmachen, ist aus dem Duell überraschend wieder ein Vierkampf geworden.
Mit viel Witz, Hemdsärmeligkeit und einer Agenda, in der er hemmungslos antikapitalistischen Protektionismus mit linker Revolutionsromantik, EU-Kritik und Merkel-Bashing zusammenrührt, ist es dem ehemaligen Trotzkisten Mélenchon gelungen, in den Umfragen auf Sichtweite des Führungsduos heranzustürmen. Aber auch der durch eine Scheinbeschäftigungsaffäre um seine Frau arg geschwächte Konservative Fillon hat sich offenbar derappelt und taucht auf den letzten Metern plötzlich wieder im Rückspiegel auf. Er hat den solidesten Kern von Stammwählern, was sich bei über einem Drittel unentschlossener Wähler im Finale noch als unschätzbarer Vorteil erweisen könnte.