Wenn Sie meinen, ich sei im Amt angekommen, dann haben Sie recht“, sagt der Präsident, wenn man ihn fragt. Dass man ihn fragen kann, hat er eigens möglich gemacht – das Gespräch spart Dutzende Interviews und gibt ihm doch die Möglichkeit, unvermeidliche Jubiläumsartikel selbst zu beeinflussen. Dazu dient die sieben Seiten lange Leistungsbilanz auf dem Tisch im zweiten Stock der Hofburg: 310 Tage Bundespräsident Van der Bellen. Kein Jahr – die Angelobung war ja erst im Jänner.

Imposant sind die Zahlen trotzdem: 14 Auslandsbesuche, 100 Inlandstermine, 85 Reden und 200 Besuche in der Hofburg. Einen Mann wie Heinz Fischer könnten diese Zahlen nicht beeindrucken, der Normalbürger mag sich das Leben in der Hofburg vielleicht geruhsamer vorstellen.

Nicht ums Abarbeiten einer Checkliste gehe es ihm, betont Van der Bellen vor einer einschüchternden Galerie von Habsburgern. Lernen wolle er etwas aus jeder Begegnung.

Es waren viele. Am Saalende rast eine Diashow über die Leinwand, begleitet von Gitarrenklängen, vertraut aus seinen Wahlkampfvideos. Schwarzenegger huscht vorbei, der Papst, das heimische politische Personal, Staatsgäste und immer wieder Jugend. Noch am Vormittag hat er eine Schule besucht. Stolz hält Van der Bellen das Insektenhotel in die Kamera, das ihm die Kinder gebastelt haben. „Es gibt mir Kraft, wenn ich sehe, welches Humankapital heranwächst“, sagt er. Selbstbewusst sollten sie sein und etwas lernen. „Dann könnt ihr was, was ich nicht kann“, sagte er einmal zu Lehrlingen. „Ich kann nichts reparieren.“

Wenn es länger dauert, wegen der Selfies oder einfach, weil es gerade so interessant ist, dann dauert es eben länger. Einen dickköpfigen Mann wie Van der Bellen, dessen Lieblingswort „Freiheit“ ist, ins Korsett eines Protokolls zu zwängen, ist schwierig. „Für mein Team ist das nicht ganz einfach“, untertreibt er. Verspätungen werfen den ganzen Tag über den Haufen, der Stresspegel all jener, die abpuffern müssen, was der nonchalante Frontmann sich an Eigenmächtigkeiten herausgenommen hat, steigt von Stunde zu Stunde.

Wenn es einen signifikanten Unterschied zu seinem Vorgänger gibt, dann diesen. Heinz Fischer war das Protokoll gewöhnt, er legte auf Pünktlichkeit und Präzision der Abläufe wert. Wissentlich und willentlich auszuscheren, um noch ein paar interessante Gespräche mitzunehmen, wäre ihm nicht in den Sinn gekommen, erzählen Leute, die beide Präsidenten aus der Nähe kennen. Und das Problem mit dem Hund, der auf den Heldenplatz drängt wegen niedrigen Bedürfnisses, stellte sich auch nicht.

Die ironische Brechung des Feierlichen hat er nicht abgelegt. In seiner Antrittsrede formulierte Van der Bellen die Floskel vom Dienst an allen Österreichern, den er zu versehen gedenke. „Eh klar“, fügte er in Abweichung vom Manuskript ein. Diesmal ist auch so etwas dabei: „Von A wie Apfelkönigin bis Z wie Zvizdi(´c)“ reiche die Liste seiner Kontakte, sagt er und genießt die verständnislosen Blicke. Den bosnischen Ministerpräsidenten meine er, Denis Zvizdi(´c). Und die Apfelköniginnen, die seien wichtige Marketing-Spezialistinnen.

Es war ein stürmischer Anfang gewesen im Jänner 2017. Regierungskrise. Im Mai die nächste, Aufkündigung der Koalition und Wahlen. Bald wird eine Regierung anzugeloben sein. Am 12. oder am 20. Dezember? Keine Auskunft. Vor Weihnachten fände er schon gut, aber ein gutes Programm wäre ihm wichtiger. Der Satz könnte auch von den Verhandlern sein.

Etwas vorsichtiger ist der Präsident geworden, seit aus einer Rede vor Botschaftern Widersprüchliches und Peinliches an die Öffentlichkeit drang. Ob ihn das geärgert habe, ob er dem Leck nachgegangen sei? „Ich habe mich eine halbe Stunde geärgert“, mehr Mühe habe er sich nicht damit gemacht. Menschen, die ihn kennen, halten das für möglich.

Was ihm wichtig sei bei der Regierungsbildung? „Österreichs Ansehen in Europa und der Welt zu stärken.“ Und noch etwas führt er an: „Die gemeinsamen Interessen in den Vordergrund zu stellen – das Miteinander, was uns zusammenhält, und nicht, was uns trennt.“