Nur sehr langsam trudelten die Abgeordneten zur Europarede des Bundeskanzlers ein. Parlamentspräsident Martin Schulz verschob den Start um eine Viertelstunde, um Werner Faymann die Schmach zu ersparen, vor völlig leeren Rängen zu reden. Höchstens 100 EU-Abgeordnete fanden schließlich den Weg in den Straßburger Plenarsaal, mehr als 600 glänzten durch Abwesenheit. Wo sie waren? Im hauseigenen Fitnessstudio? Oder ist Österreich zu unwichtig? Nur die österreichischen EU-Parlamentarier erschienen vollständig.

Glühender Europäer Faymann

Kanzler Faymann erwies sich in seiner Rede wieder einmal als glühender Europäer, der sich seit seinem Amtsantritt vom Saulus zum Paulus entwickelt hat. Ein halbes Dutzend Abgeordnete - auch aus Deutschland, Frankreich oder Belgien - würdigten den Wandel vom "Leserbriefschreiber zum glühenden Europäer". Nur die EU-Skeptiker wie Ewald Stadler (BZÖ), Andreas Mölzer (FPÖ) und Hans-Peter Martin ließen kein gutes Haar am Kanzler. Faymann sprach denn auch vom "europäischen Traum", den die Gründerväter begonnen haben und den es nun fortzusetzen gilt. Für den Kanzler bestehen keine Zweifel, dass Österreich von der EU-Mitgliedschaft in besonderem Maße profitiert. "Wenn wir Europa stärken, stärken wir auch uns. Wenn wir Europa schwächen, schwächt es auch uns. Es kann uns nur gemeinsam gut oder schlecht gehen".

Wer sich Vorschläge über eine institutionelle Weiterentwicklung der EU erwartet hat, wurde enttäuscht. Umso stärker fiel sein Bekenntnis zur europäischen Solidarität aus - angesichts der Euro-Krise und der Forderungen vieler, die den Hinauswurf Griechenlands oder ganz Südeuropas aus der Eurozone verlangen.

"Wir sitzen alle im selben Boot", meinte Faymann an die Adresse der Skeptiker gerichtet. "Solidarität und Nächstenliebe müssen stärker sein als Egoismus und Gier." Wer in Schönwetterzeiten vom gemeinsamen Markt profitiere, "der kann nicht im Sturm das Ruder aus der Hand legen, wenn es darum geht, das Boot wieder in sichere Gewässer zu bringen". Solidarität dürfe nicht "an nationalen Grenzen haltmachen".

Hohe Jugendarbeitslosigkeit

Faymann warnte mit dem Hinweis auf die hohe Jugendarbeitslosigkeit in vielen Ländern davor, alles in Europa schönzureden. "Frieden kann es in Europa ohne sozialen Zusammenhalt nicht geben". In der EU habe jeder vierte Jugendliche keinen Job. Der Kanzler machte in dem Zusammenhang einen ungewöhnlichen Vorschlag: Würden alle EU-Länder auf ihren EU-Rabatt verzichten, könnten mehr als eine Million 16- bis 17-Jährige im Zuge einer Ausbildungsgarantie von der Straße geholt werden.

In der anschließenden Debatte streuten fast alle Abgeordneten dem Kanzler Rosen. Kritik gab es allerdings an der zauderlichen Haltung Österreichs im Kampf gegen Steuerhinterziehung. Bekanntlich blockieren Wien und Luxemburg eine Regelung zum automatischen Informationsaustausch. Ein Treffen mit den österreichischen EU-Abgeordneten rundete den Besuch ab. "Endlich einmal ein österreichischer Politiker, der uns ernst nimmt", meinte ein Abgeordneter, der nicht der SPÖ angehört.