Sie warnen mit anderen Wirtschaftsexperten vor dem Beschluss des EU-Rettungsschirms ESM und prophezeien den Konkurs Österreichs. Was macht Sie bei dieser Prognose so sicher? EVA PICHLER: Der ESM ist ein undemokratischer Knebelungsvertrag. Er entzieht sich jeder Mitbestimmung und es droht Österreich, das heute mit ausgelagerten Schulden eine Verschuldung von 90 Prozent des BIP aufweist und Haftungen von rund 50 Milliarden übernommen hat, der Konkurs. Der ESM bedeutet für Österreich eine Haftung von weiteren 15 Milliarden und die Haftung kann ausgeweitet werden und wird es auch. Österreich kann zahlungsunfähig werden. Es ist unakzeptabel, wenn Politiker erklären, dass am ESM kein Weg vorbeiführt. Der ESM soll am Bürger vorbeigeschummelt werden, weil Brüssel weiß, dass dies nur mit einer Überrumpelungsaktion möglich ist.

Befürworter dieses Rettungsschirms betonen, ohne ihn wäre die Krise nicht zu stoppen.PICHLER: Der ESM vertieft und legalisiert die Transferunion in Europa. Bislang war sie nicht legal. Quantitativ ist die Target-Problematik derzeit größer, weil wir schon über tausend Milliarden in diesem System umverteilt haben, und dies ist mit dem ESM nicht beendet. Wir haben dann zwei gigantische Umverteilungssysteme nebeneinander. Wird der ESM ratifiziert, können wir nicht mehr zurück. Dann haben wir unsere Autonomie aufgegeben.

Die Vergemeinschaftung der Schulden macht Ihnen Angst?PICHLER: Es geht nicht nur darum. Wir zahlen auch Konsumausgaben und Vermögensflucht der anderen Länder in erheblichem Teil schon mit.

Die EU steht vor einer Richtungsentscheidung: zusammenwachsen oder auseinanderbrechen. Könnte der ESM nicht die Brücke für ein stärkeres Europa sein?PICHLER: Der ESM basiert auf der Vorstellung, dass die Haftungsübernahme zu keiner Katastrophe führen wird, weil die Schulden zurückgezahlt werden und die Länder zu sparen beginnen, den Arbeitsmarkt reformieren, die Verwaltung zurückschrauben. Das ist ein schönes Szenario, aber Utopie. Das funktioniert nicht in einer Demokratie.

Warum nicht?PICHLER: Weil die Südländer die Reformen nicht durchführen werden, sobald sie wieder Geld haben. In Italien hat man eine Arbeitsmarktreform nicht durchgebracht, weil die Zinsen wieder sanken. Frankreichs Präsident Hollande setzt den Mindestlohn hinauf und das Pensionsalter herunter. Es wird nicht hinreichend reformiert. Daran zu glauben ist naiv. Die Erfahrungen der letzten Jahre beweisen das Gegenteil. Das ist, wie wenn ich ein Wasserglas auf einen Steinboden fallen lasse und hoffe, dass es nicht zerbricht.

Was wäre anstelle des ESM eine Prävention gegen marktgetriebene Schuldenkrisen?PICHLER: Die nicht wettbewerbsfähigen Länder könnten aus dem Euro ausscheiden. Das wird immens viel kosten, aber es wäre in den Griff zu bekommen.

Wäre ein Ausstieg mancher Länder aus dem Euro aufgrund der unabsehbaren Nachbeben nicht unverantwortlich?PICHLER: Die Angst wird zum einen von den Banken geschürt und zum anderen von allen, die von Verlusten betroffen sind. Dazu zählt auch Obama, weil US-Pensionsfonds Anleihen südlicher Euro-Länder halten. Das ist Interesse. Wenn internationale Banken wieder eine Studie herausgeben, wie schlimm die Folgen eines Euro-Austritts wären, muss man bedenken, dass sie ihre faulen Wertpapiere dem Steuerzahler unterjubeln wollen.

Wann würde der ESM funktionieren?PICHLER: Vielleicht, wenn es gute Sanktionen gäbe. Die Strafen betragen 0,1 Prozent des BIP. Griechenland hat mehr als 200 Prozent des BIP an Unterstützung bekommen und dann drohen wir mit 0,1 Prozent? Harte Strafen in anderen Ländern zu fordern, zieht aber wieder den Hass der Bevölkerung mit sich.