Eine der wichtigsten Entscheidung steht für François Hollande in Berlin bei der Begrüßung an: Wie begegnet der neue französische Präsident unmittelbar nach seiner Angelobung bei der ersten Reise die deutsche Kanzlerin. Alle Augen werden darauf gerichtet sein, wie er sich Angela Merkel annähert, denn dies wird als erstes Indiz dafür gelten, wo sich die Temperaturkurve in der deutsch-französischen Beziehung nach dem Machtwechsel in Paris befindet.

Küsschen links, Küsschen rechts wie Vorgänger Nicolas Sarkozy? Ein Handkuss a la Jacques Chirac? Oder doch ein nüchterner Handschlag? Immerhin hatte Merkel ihn im Wahlkampf abblitzen lassen.

Eigentlich ist es nichts Besonderes, dass die erste Auslandsreise nach Berlin führt. Und dann wieder doch. Die deutsch-französische Freundschaft war und ist seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs Garant für das Zusammenwachsen und den Frieden in Europa. Die Achse Berlin - Paris ist nicht nur in der Euro-Krise der Motor für die EU. Deutschland und Frankreich bestimmen zu weiten Teilen das Schicksal des Kontinents.

Und dieses starke Zusammenspiel lässt sich aus der gemeinsamen blutigen Geschichte erklären, aus den Kriegen der beiden Nachbarn, die über 75 Jahre lang unendliches Leid über den Kontinent brachten. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es die charismatischen Staatslenker Konrad Adenauer und Charles de Gaulle, die aus der Erbfeindschaft eine Freundschaft machten. Allerdings verfolgten beide unterschiedliche Interessen. Während der Franzose mit dem Erhalt der nationalen Souveränität beschäftigt war, hatte der Deutsche schon viel mehr Europa im Blickfeld.

Dass die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Parteienfamilien - wie jetzt bei Merkel und Hollande - keineswegs eine Belastung für die Beziehungen bedeuten muss, zeigt die Vergangenheit. Der Sozialist François Mitterrand und der Christdemokrat Kohl arbeiteten genau so eng zusammen wie der Konservative Jacques Chirac und der Sozialdemokrat Gerhard Schröder.

Aber auch Giscard d'Estaing und Helmut Schmidt waren parteipolitisch unterschiedlich ausgerichtet. Beide hätten ein gemeinsames wirtschafts- und europapolitisches Interesse verfolgt, erklärt der Politologe Wolfgang Jäger, der an der Universität Freiburg das Frankreichzentrum gründete. "Sie unternahmen erste Schritte hin zu einer gemeinsamen Währung."

Die beiden Spitzenpolitiker hatten mit der Ölkrise und ihren Folgen zu kämpfen und hegten ähnliche wirtschaftspolitische Handlungsstrategien. Auch deshalb etablierten sie die informellen Kamingespräche der G7 auf Schloss Rambouillet.

Crash droht auch jetzt nicht

Als wahrscheinlich gilt in Paris, dass auch Hollande und Merkel übereinkommen werden. Für Pierre Moscovici, der als potenzieller Außenminister der neuen französischen Regierung gehandelt wird, steht auf alle Fälle fest: "Es wird in Berlin keinen Crash geben." Auch nicht im derzeitigen Kernstreitpunkt. Sie werden nach Ansicht von Diplomaten übereinkommen, dem Fiskalpakt in Form von Zusatzbestimmungen nachzuschieben.

Aber selbst wenn es an heute zum Eklat kommen sollte: Mittelfristig ist Frankreichs Politikern um die französisch-deutschen Beziehungen nicht bange. Hollande gilt als Merkels Freund in spe. "Ich bin sicher, nach einer ersten heiklen Phase werden sich die beiden bestens verstehen", versichert ein französischer Diplomat im Schutz der Anonymität. Beide seien Pragmatiker und überzeugte Europäer.

Anne-Marie Le Gloannec, Leiterin des Zentrums für Internationale Studien an der Pariser Universität "Science Po", erinnert daran, dass der zuletzt so innigen Beziehung zwischen der Kanzlerin und dem scheidenden französischen Staatschef Nicolas Sarkozy heftige Meinungsverschiedenheiten vorausgegangen waren. Sarkozy habe sich anfangs als Retter Europas gebärdet, sprunghaft zusammenhangslose Ideen vorgetragen, Merkels Grundsätze mit Füßen getreten und genau das gefordert, was Hollande im Wahlkampf postuliert habe: weniger Sparsamkeit, mehr Finanzhilfen der Europäischen Zentralbank. "Der Franzose und die Deutsche haben gleichwohl ein manchmal ramponiertes, aber unverzichtbares Tandem gebildet", meint Le Gloannec und fügt hinzu: "In der Kunst des Kompromisse Schmiedens steht der neue Präsident der Kanzlerin näher als der alte."