Bei der Präsidentenwahl in Brasilien hat der linke Herausforderer Lula da Silva den Sieg in der ersten Runde verpasst. Nach Auszählung aller Stimmen kam der Kandidat der Arbeiterpartei PT auf 48,42 Prozent. Für einen Wahlsieg in erster Runde wären 50 Prozent erforderlich gewesen. Auf Amtsinhaber Jair Bolsonaro entfielen demnach 43,20 Prozent der Stimmen, deutlich mehr, als ihm in den Umfragen vorhergesagt worden waren. Die anderen neun Kandidaten landeten weit abgeschlagen. Somit kommt es am 30. Oktober zur Stichwahl um das höchste Amt im größten und wichtigsten Land Lateinamerikas. Der Ausgang ist nach dem überraschend starken Ergebnis Bolsonaros vom Sonntag völlig offen. Die Meinungsforschungsinstitute hatten Lula bis zu 15 Prozentpunkte Vorsprung vorhergesagt, am Ende waren es lediglich fünf. 

Zudem gelang es Bolsonaros "Liberaler Partei" (PL), bei den gleichzeitig stattfindenden Parlaments- und Gouverneurswahlen zahlreiche Kandidaten durchzusetzen. Die Wahl war überlagert von der Furcht vor Gewalt, insbesondere dann, sollte Bolsonaro das Ergebnis nicht anerkennen. Es blieb aber alles in allem weitgehend ruhig. Erste Analysen legen die Vermutung nahe, dass viele Wähler in den Umfragen nicht ihre wirkliche politische Meinung kundgetan haben. 

Rückschlag für Demokratie

Das Ergebnis ist jedenfalls ein Rückschlag für Brasiliens Demokratie, für Lula da Silva, die Linke und die liberale Mitte des Landes. Als sich der Herausforderer als erster am Sonntagabend aus einem Hotel in São Paulo an die Öffentlichkeit wandte, standen ihm und seinem Team die Enttäuschung und der Schreck ins Gesicht geschrieben. "Das ist nur eine Verlängerung, wir werden gewinnen", versprach er. Er habe seine bisherigen Kandidaturen immer in der ersten Runde gewinnen wollen, unterstrich Lula. "Aber das ist eben nicht immer möglich." Lula versprach, weitere Allianzen zu schmieden und sein Wahlprogramm zu schärfen.

Wenig später trat Bolsonaro in Brasilia vor die Presse: "Es gibt einen Wunsch nach Veränderung", sagte er. "Aber diese könnten auch zum Schlechten sein." Er führte seine Niederlage einzig auf die hohe Inflation im Land zurück. Zugleich kritisierte er erneut die Meinungsforscher, die seinen Rückhalt in der Bevölkerung unterschätzt hätten. Er bezeichnete die Umfragen als "Lüge".

Diese Wahl ist die wichtigste seit der Wiedererlangung der Demokratie in Brasilien vor 37 Jahren. Setzt sich das autokratische rechtsradikale Projekt Bolsonaros noch einmal durch, wird er die Institutionen und damit die Demokratie des Landes weiter zerstören. Gewinnt der altbekannte links-sozialdemokratische Lula, könnte er das Land einen und wieder auf einen Wachstumskurs bringen. Zudem würde er Brasilien wieder in die Weltgemeinschaft führen. Vier Jahre Bolsonaro haben Brasilien zu einem Paria-Staat gemacht, vor allem wegen seiner Klimapolitik, aber auch wegen seines von Hass beladenen und diskriminierenden Kurses gegen Minderheiten und alles Linke. 

Wahlkampf beginnt bei null

Der Wahlkampf beginnt in den verbleibenden vier Wochen jetzt wieder bei null. Und man muss davon ausgehen, dass die Auseinandersetzung zwischen den beiden Politikern hart und schmutzig geführt wird. Einen Vorgeschmack gab darauf bereits das letzte Fernsehduell vor der ersten Runde am vergangenen Donnerstag. Da ging es kaum um Inhalte, sondern Bolsonaro und Da Silva attackierten sich persönlich. Vor allem der rechtsradikale Amtsinhaber beleidigte seinen Kontrahenten. Brasilien steht vor einem aufregenden und gefährlichen Monat.

Mitentscheidend wird sein, ob es Bolsonaro gelingt, seine hohe Ablehnungsrate in der Bevölkerung zu verbessern. Laut Umfragen würden 52 Prozent der Brasilianer und Brasilianerinnen niemals für den Amtsinhaber stimmen. Bei Lula liegt die Ablehnungsquote bei 40 Prozent.

Bolsonaro und Lula gingen am Sonntag sehr früh zur Abstimmung. Der Amtsinhaber wählte in einem knallgelben T-Shirt, das für seine Anhänger zum Erkennungssymbol geworden ist, in Rio den Janeiro und stellte erneut die Sicherheit der elektronischen Wahlurnen infrage, die seit 25 Jahren in dem Land ohne Beanstandung genutzt werden. "Bei sauberen Wahlen soll der Bessere gewinnen, kein Problem", sagte er. 

Lula da Silva wählte in São Bernardo do Campo, am Stadtrand von São Paulo, dem Industriegebiet, in dem er einst als Metallarbeiter zu arbeiten begann. Der 76-Jährige rief die Brasilianer und die politische Gegenseite dazu auf, dem "Hass ein Ende zu setzen". "Die fanatischsten Bolsonaristas werden sich der Mehrheit der Gesellschaft anpassen müssen." Im ganzen Land gingen die Menschen massiv an die Urnen. Mancherorts mussten Wählerinnen und Wähler bis zu drei Stunden warten.