Herr Botschafter, heute kommt es in Brüssel zur Abstimmung, ob die Fraktion der EVP die Fidesz ausschließt. Wie wird das in Budapest beurteilt?

ANDOR NAGY: Viktor Orbán und die Partei möchten gerne bleiben. Sie sehen sich als Teil der christdemokratischen Parteienfamilie. Spitzenkandidat Manfred Weber war in Budapest und hat über drei Bedingungen für den Verbleib gesprochen. Aus unserer Sicht sind alle erfüllt. Die Plakataktion gegen Soros und Juncker sind eingestellt und der Parteichef hat sich bei der EVP entschuldigt. Im Fall der Central European University ringen wir um eine Lösung.

Wie sieht die aus?

Als Weber bei Orbán war, stellte sich heraus, dass der Freistaat Bayern und BMW bereit wären, Studienfächer an der Soros-Universität zu finanzieren. Das bringt hoffentlich jetzt eine Lösung. Ich bin aber für die Abstimmung eher pessimistisch und fürchte einen Ausschluss.

Sie vertreten seit 2018 Ungarn in Wien und gelten als Vertrauter von Premier Orbán. Wie kam das?

Wir lebten als Studenten in der gleichen Wohngemeinschaft und gründeten 1988 mit 35 Mitstudierenden den Bund Junger Demokraten mit dem ungarischen Akronym Fidesz als liberale Protestbewegung gegen die Kommunistische Partei. 1989 riet mir eine Freundin, nach Berlin zum Jusstudium zu gehen, weil es zu gefährlich wurde. So erlebte ich den Mauerfall in Berlin. 1993 ging ich zurück und arbeitete in der Fidesz für den neuen Parteichef Orbán. Später saß ich dann im Parlament und wurde nach dessen Verkleinerung 2014 Botschafter in Israel und Wien.

Kanzler Kurz ist zuletzt auf die Linie von Weber umgeschwenkt und hat für den Ausschluss plädiert. Wie wird das in Ungarn bewertet?

Es ist eine Enttäuschung da. Nach der Regierungsbildung 2000 unter Kanzler Schüssel stand Österreich unter Boykott. Der erste Ministerpräsident, der Schüssel damals eingeladen hat, war Orbán. Er hat gesagt: „Ihr seid demokratisch gewählt und Europa hat keinen Grund, euch zu boykottieren.“ In der Politik spielt Solidarität eine große Rolle. Und wenn ich damals Solidarität gezeigt habe, kann ich heute in einem ähnlichen Fall auch erwarten, dass ich diese zurückbekomme.

Sie beschreiben die Anfänge der Fidesz als liberal. Heute spricht Orbán von illiberaler Demokratie. Verstehen Sie Irritationen in der EU?

Ja. „Illiberalität“ war ein Fehler. Stattdessen hätte man lieber von neuer Christdemokratie sprechen müssen. Orbán glaubt fest daran, dass es christdemokratische Reformen speziell in der Familienpolitik braucht, mit Stärkung der christlichen Kultur und des Begriffs Nation, ohne aber nationalistisch zu sein.