Der Rote Platz präsentiert sich bei strahlendem Sonnenschein, neben dem Lenin-Mausoleum wird bereits die Besuchertribüne für die triumphale Militärparade am 9. Mai aufgebaut, dem „Tag des Sieges“. Auf dem grauen Pflaster sind in weißer Farbe die Bahnen aufgemalt, in denen zum Feiertag des sowjetischen Sieges im „Großen Vaterländischen Krieg“, wie der Zweite Weltkrieg in Russland genannt wird, Soldaten und Panzer entlangziehen werden. Russland pflegt seinen Nationalstolz, und der wurde zuletzt, so die russische Lesart, gerade von westlicher Seite wieder angekratzt.

„Highly likely“ sei es, hatte die britische Premierministerin Theresa May erklärt, dass Russland hinter dem Giftanschlag auf Sergei und Julia Skripal in London stehe – ohne, wie man in Moskau beklagt, Beweise vorzulegen. Ohne Beweise für Giftgas in Duma habe der Westen dann Syrien angegriffen. „Highly likely“, sagt eine russische Touristenführerin vor dem Mausoleum, „das ist bei uns jetzt ein geflügeltes Wort für alles, was irgendwer vermutet, aber letztlich doch nicht weiß“.

Ins Eck gestellt

Russland fühlt sich ins Eck gestellt und ungerecht behandelt, und die Propaganda gießt in den staatlichen Fernsehkanälen allabendlich noch Öl ins Feuer. „Wir hätten nie gedacht, dass wir eines Tages wieder einzig von Feinden umgeben sein werden“, klagt der Verkäufer am Zigarettenkiosk. Und dass ausgerechnet der sprunghafte Trump dann auch noch Raketen auf Syrien feuert, mache vor allem der älteren Generation, die den Kalten Krieg am eigenen Leib miterlebt habe, große Angst. „Was, wenn es doch Russen in Syrien erwischt hätte?“, fragt er zwischen seinen Regalen. Dass durch die Sanktionen des Westens die Preise für Käse aus Italien gestiegen seien, könne man verkraften. „Aber wir Russen wollen keinen Krieg.“

Mit dem russischen Außenminister Sergei Lawrow stand Karin Kneissl bei ihren Gesprächen einem der längstgedienten Diplomaten der Welt gegenüber, ein echter Veteran im beinharten Krieg der Worte, der nicht zögert, EU-Vertreter seinen Groll spüren zu lassen. Seit 14 Jahren vertritt der 68-Jährige Russland nach außen, er hat vier österreichische Außenminister miterlebt.

Bundeskanzler Sebastian Kurz und die Außenministerin selbst hatten im Vorfeld Wien als Verhandlungsort einer neuen Syrien-Konferenz sowie eine Vermittlerrolle Österreichs angeboten. Lawrow erwies sich diesbezüglich im Anschluss an die Gespräche als mäßig galant. Besonders empfänglich für neue Friedensinitiativen im Syrienkrieg zeigte er sich nicht.

Auf die Frage, wie er zu einer Vermittlerrolle Österreichs zwischen Russland und dem Westen im Syrienkonflikt stehe, sagte Lawrow: „In Syrien braucht man nur eine Vermittlung, eine Vermittlung zwischen den Konfliktparteien.“ Dies entspricht der Linie Russlands in Syrien wie in der Ukraine: Man gibt sich nicht als Kriegspartei, sondern verweist bei Vermittlungsversuchen an die örtlichen Konfliktparteien. Da sich aber die Großmächte in Syrien einen Stellvertreter-Krieg liefern, ist dies eine der Facetten, die eine Lösung des Konflikts so schwierig machen.

Ehrlicher Makler

Er schätze aber „sehr“, dass sich Österreich für eine Verbesserung des Klimas im Syrienkonflikt einsetze, fügte Lawrow hinzu. „Österreich wird stets als ehrlicher Makler angesehen. Wenn es nicht genug ehrliche Makler gibt, könnte Österreich durchaus einen Beitrag leisten unter dem Dach der Vereinten Nationen“, sagte er. Im Übrigen habe man vor allem auch über bilaterale Themen gesprochen. Mit am Tisch saß von österreichischer Seite neben Botschafter Johannes Eigner auch Margot Klestil-Löffler, die neue Sonderaufbeauftragte für Russland, die schon als First Lady und später als Botschafterin Kontakte zu Putin geknüpft hatte. "Ein Anfang wurde gesetzt, alle Ziele erreicht", sagte Kneissl zum Abschluss ihrer Reise.

Am Vormittag war Kneissl in Moskau spontan mit dem UN-Sonderbeauftragten für Syrien, Staffan de Mistura, zusammengetroffen, um Wien als Verhandlungsort für Gespräche unter dem Dach der UN vorzuschlagen. Zu einem Beschluss kam es noch nicht. „Wir hatten ein sehr nützliches Treffen“, sagte der UN-Diplomat jedoch im Anschluss an das Gespräch mit Kneissl.
Eine wichtige Klarstellung traf Kneissl vor russischen Medien in Bezug auf Österreichs Rolle in der Skripal-Affäre. Sie betonte mehrfach die „Solidarität“ Österreichs mit Großbritannien. Österreich habe keine russischen Diplomaten ausgewiesen, wie andere westliche Staaten, weil dies ständige diplomatische Praxis Österreichs sei. Man habe aber alle Beschlüsse der EU-Räte zur Skripal-Affäre voll mitgetragen.