Die USA, Frankreich und Großbritannien haben als Vergeltung für einen mutmaßlichen Giftgaseinsatz Ziele in Syrien angegriffen. Russland, Verbündeter und Schutzmacht der syrischen Führung von Präsident Bashar al-Assad, drohte umgehend mit Konsequenzen. Befürchtet wird eine weitere Verschlechterung des Verhältnisses zwischen den USA und Russland. Auf Wunsch des Kreml-Chefs Wladimir Putin tritt ab 17 Uhr der Weltsicherheitsrat der UNO zu einer Sondersitzung zusammen, um über die Militärintervention zu beraten.

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Nach US-Angaben wurden drei Ziele angegriffen, Berichte vor Ort sprachen von mehr als drei. An den Militärschlägen waren Schiffe und Flugzeuge beteiligt. US-Medien schrieben von Dutzenden Marschflugkörpern. Es handle sich um eine begrenzte, einmalige Aktion. Weitere Schläge seien nicht geplant, sagte US-Verteidigungsminister James Mattis. Nach syrischen Angaben wurden mindestens drei Zivilisten verletzt. Aus Armeekreisen hieß es, sechs Soldaten seien bei der Stadt Homs verletzt worden.

Rückeroberung von Ost-Ghouta

Das Regime in Damaskus zeigte sich nicht sonderlich beeindruckt. Das Staatsfernsehen meldete nach den Angriffen, dass Sicherheitskräfte in die Stadt Duma vorgerückt seien, der zuvor eroberten letzten Rebellen-Bastion in der Region Ost-Ghouta nahe Damaskus. Am Abend verkündete die Regierung, die vollständige Rückeroberung von Ost-Ghouta. Ein Armeesprecher sagte am Samstag nach Angaben der staatlichen syrischen Nachrichtenagentur Sana, alle "Terroristen" hätten die in Ost-Ghouta gelegene Stadt Douma, die letzte Rebellenbastion, verlassen.

Die syrische Armee hatte Mitte Februar eine Militäroffensive zur Rückeroberung der vor den Toren von Damaskus gelegenen Region gestartet. Laut Aktivisten wurden bei den Gefechten mehr als 1.600 Menschen getötet. Russland hatte die Rückeroberung Ost-Ghoutas bereits vor zwei Tagen erklärt, oppositionsnahe Aktivisten hatten dies am Donnerstag allerdings bestritten.

Nach Angaben aus Paris wurde bei der Militärintervention das Chemiewaffen-Arsenal in Syrien "zu einem großen Teil" zerstört. Das gab Außenminister Jean-Yves Le Drian bekannt. Auch das US-Verteidigungsministerium bestätigte, dass die Möglichkeiten Syriens stark eingeschränkt worden sei, Chemiewaffen herzustellen. Das Chemiewaffensystem erstrecke sich zwar nicht nur auf die drei angegriffenen Ziele, sagte ein Sprecher des Pentagons. Es existiere weiterhin auch noch Ausrüstung, um derartige Waffen zu produzieren. Dennoch hätten die Angriffe dem Arsenal einen starken Rückschlag versetzt. Auch deshalb drohte der französische Außenminister mit "einer weiteren Intervention", sollte es in Syrien erneut einen Chemiewaffenangriff geben. "Hinsichtlich der chemischen Waffen gibt es eine rote Linie, die nicht überschritten werden darf. Wenn sie überschritten wird, gibt es eine weitere Intervention." Frankreich verfüge nach Worten des Außenministers über "verlässliche Informationen", dass die syrische Staatsführung hinter dem mutmaßlichen Chemiewaffenangriff vom 7. April in der Stadt Duma stecke.

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US-Präsident Donald Trump sagte am Freitagabend (Ortszeit) in einer Rede an die Nation, die Angriffe seien die Antwort auf den Einsatz chemischer Waffen durch die syrische Regierung unter Präsident Assad gegen das eigene Volk. "Dies sind nicht die Taten eines Menschen", sagte Trump. "Es sind die Verbrechen eines Monsters." Der französische Präsident Emmanuel Macron sagte: "Die rote Linie ist überschritten." Die britische Premierministerin Theresa May bezeichnete den Angriff als alternativlos.

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Russland drohte mit Konsequenzen. "Wir sind wieder bedroht worden", hieß es in einer Erklärung des russischen Botschafters in Washington, Anatoli Antonow, auf Twitter. "Wir haben gewarnt, dass solche Aktionen nicht ohne Konsequenzen sein werden." Alle Verantwortung dafür hätten nun die Regierungen in Washington, London und Paris zu tragen. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, schrieb auf Facebook, es gebe weiterhin keine Beweise für den mutmaßlichen Giftgasangriff auf die Stadt Duma.

China hat eine vollständige, faire und unabhängige Untersuchung des mutmaßlichen Chemiewaffeneinsatzes in Syrien gefordert. Eine politische Einigung sei die einzige Möglichkeit, den Konflikt beizulegen, teilte das Außenministerium mit. Jeder Militäreinsatz ohne Beschluss des UN-Sicherheitsrats verletzte die Prinzipien und Normen des internationalen Rechts.

Syrien kritisierte einen Verstoß gegen internationales Recht. "Einmal mehr bestätigen die USA und die Achse zur Unterstützung des Terrors, dass sie gegen internationales Recht verstoßen, über das sie bei den Vereinten Nationen prahlerisch reden", meldete die staatliche syrische Nachrichtenagentur SANA. Assad erklärte, die Angriffe erhöhten die Entschiedenheit, "Terrorismus an jedem Quadratmeter der Nation" zu bekämpfen und niederzuschlagen. Die Angriffe seien gekommen, nachdem der Westen realisiert habe, Kontrolle und Glaubwürdigkeit in dem Konflikt verloren zu haben. Auch Iran, weitere Schutzmacht Assads, verurteilte die Angriffe als klaren Verstoß gegen internationale Vorschriften. Präsident Hassan Rouhani habe Assad telefonisch seinen Beistand zugesichert, teilt das syrische Präsidialamt weiter mit. 

Mehr als hundert Raketen abgefeuert

Nach russischen Angaben wurden mehr als hundert Raketen abgefeuert. Mehr als hundert Marschflugkörper und Luft-Boden-Raketen seien "vom Meer und aus der Luft auf syrische militärische und zivile Ziele" geschossen worden, zitierte die russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti eine Erklärung des Verteidigungsministeriums in Moskau. Eine "bedeutende Zahl" dieser Raketen sei von der syrischen Luftabwehr abgefangen worden. "Die russischen Luftabwehrsysteme, die sich auf syrischem Territorium befinden, wurden nicht eingesetzt, um die Raketen-Angriffe abzuwehren", erklärte das Ministerium weiter.

Bei dem Angriff der Westmächte auf Syrien nach Angaben der syrischen Armee rund 110 Raketen abgefeuert worden.
Bei dem Angriff der Westmächte auf Syrien nach Angaben der syrischen Armee rund 110 Raketen abgefeuert worden. © APA/AFP/SYRIAN GOVERNMENT'S CENT

Der Militäreinsatz richtete sich nach Angaben von US-Verteidigungsminister Jim Mattis gegen die Infrastruktur der chemischen Waffenproduktion Syriens. Der Einsatz von Chemiewaffen könne unter keinen Umständen geduldet werden. Nach US-Angaben gab es keine Verluste bei den gemeinsamen Angriffen auf eine Forschungszentrum wohl nordöstlich der Hauptstadt Damaskus, eine mutmaßliche Lagerstätte für chemische Waffe sowie einer Kommandoeinrichtung bei Homs. Nach dem Beginn des Angriffs waren in der Hauptstadt Damaskus schwere Explosionen zu hören gewesen. Das berichteten Anwohner am frühen Morgen.

Der Generalstabschef des US-Militärs, Joseph Dunford, sagte, nahe Homs sei der chemische Kampfstoff Sarin gelagert worden. Die USA hätten den Angriff nicht mit Russland koordiniert. Es habe lediglich Kommunikation über den regulären Kanal zwischen dem russischem und amerikanischem Militär zur Vermeidung von Zwischenfällen über Syrien gegeben.

Mattis sagte, der Schlag gegen Syrien sei härter gewesen als der im Vorjahr. Es seien etwa doppelt so viele Waffen eingesetzt worden wie beim Angriff 2017.

Es ist das zweite Mal, dass die USA unter Trump die Assad-Regierung direkt angreifen. Das US-Militär hatte vor einem Jahr die Luftwaffenbasis Shairat beschossen. Das war eine Reaktion auf den Giftgasangriff mit Dutzenden Toten auf die Stadt Chan Sheikhoun, für den UN-Experten die Regierung Assads verantwortlich machten. Das Eingreifen der USA galt aber weitgehend als symbolisch.

Keine Alternative für Theresa May

An dem Einsatz nun waren auch vier Flugzeuge der britischen Royal Air Force beteiligt. Es habe "keine gangbare Alternative zum Einsatz der Streitkräfte gegeben", um das syrische Regime vom Einsatz der Chemiewaffen abzuschrecken, sagte die britische Premierministerin May. Die militärische Antwort sei ein "begrenzter und gezielter Schlag". Es gehe nicht darum, in einen Bürgerkrieg einzugreifen. Es gehe auch nicht um einen Regimewechsel, sagte May.

Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian nannte den Einsatz rechtmäßig.
Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian nannte den Einsatz rechtmäßig. © APA/AFP/POOL/MICHEL EULER

May sieht den Militäranschlag auch als Warnung an Russland: "Wir können nicht erlauben, dass der Gebrauch chemischer Waffen normal wird: innerhalb Syriens, auf den Straßen Großbritanniens oder irgendwo sonst in unserer Welt." Damit spielte sie auf das Attentat auf den ehemaligen russischen Doppelagenten Sergej Skripal an. Auf ihn und seine Tochter war vor sechs Wochen ein Mordversuch mit einem Kampfstoff verübt worden. London bezichtigt Moskau als Drahtzieher des Anschlags. Es habe keine Alternative zu dem gezielten und effektiven Luftangriffen gegeben, sagte May. Der Militärschlag werde ein deutliches Signal an jeden senden, der glaube, er könne chemische Waffen straflos nutzen. Es gehe aber weder darum, in einen Bürgerkrieg einzugreifen, noch um einen Regimewechsel, betonte May.

Macron sagte: "Dutzende von Männern, Frauen und Kindern wurden beim Einsatz chemischer Waffen in Douma am 7. April massakriert. Ich habe deshalb den französischen Streitkräften befohlen einzugreifen." Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian nannte den Einsatz rechtmäßig. Das Vorgehen richte sich nicht gegen die Verbündeten Syriens - Russland und Iran - und auch nicht gegen die Zivilbevölkerung. Assad solle davon abgehalten werden, weiter Chemiewaffen einzusetzen. Die französische Verteidigungsministerin Florence Parly meinte: "Wir suchen nicht die Konfrontation und weisen jede Logik militärischer Eskalation zurück", sagte sie. "Deshalb haben wir mit unseren Verbündeten darauf geachtet, dass die Russen vorher gewarnt werden."

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg unterstützt den Angriff und erklärte: "Das wird die Fähigkeiten der Führung einschränken, weiter die Menschen in Syrien mit chemischen Waffen anzugreifen." Die USA, Frankreich und Großbritannien wollen ihre Nato-Partner am Samstag in einer Sondersitzung informieren. Der Nordatlantikrat - das oberste Entscheidungsgremium der Nato - werde am Nachmittag zusammenkommen, verlautete aus Nato-Kreisen in Brüssel. Das Gremium trifft sich in der Regel einmal pro Woche auf Ebene der Botschafter und etwa halbjährlich auf Ebene der Außen- und Verteidigungsminister.

UN-Generalsekretär Antonio Guterres rief die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen zur Zurückhaltung auf und warnte vor einer weiteren Eskalation.

Israel betrachtet die von den USA angeführten Angriffe als Durchsetzung einer roten Linie für Assad. Ein israelischer Regierungsvertreter sagte am Samstag, Trump habe Assad zuvor deutlich gemacht, dass dieser mit dem Gebrauch von Chemiewaffen die rote Linie überschreite. Die Angriffe seien ein "wichtiges Signal" an den Iran, Syrien und die Hisbollah, so der Regierungsvertreter.

Das türkische Außenministerium begrüßt die US-geführten Angriffe als "angemessene Antwort". Italiens geschäftsführender Regierungschef Paolo Gentiloni hat vor einer Eskalation gewarnt. "Die Aktion dieser Nacht war eine begrenzte Aktion, die darauf abzielte, die Kapazitäten zur Produktion und Verbreitung von chemischen Waffen zu treffen. Sie kann und darf nicht der Beginn einer Eskalation sein", sagte Gentiloni in Rom.

Syrische Armee seit Tagen in Alarmbereitschaft

Die syrische Armee war seit Tagen in voller Alarmbereitschaft und hatte sich am Mittwoch von weiteren Stützpunkten zurückgezogen. Schon am Dienstag verließ die Armee einige Militärbasen, um einer möglicherweise bevorstehenden Attacke der USA und seiner Verbündeten Frankreich und Großbritannien weniger Angriffsfläche zu bieten.

SANA meldete, die Luftabwehr Syriens habe die "amerikanisch-britisch-französische Aggression" bekämpft. Es seien 13 Raketen abgefangen worden. Aus Armeekreisen hieß es, es seien Dutzende Abwehrraketen abgefeuert worden, unter anderem vom Militärflughafen Al-Shairat. Das Pentagon wollte zu dieser Darstellung keine Stellung nehmen.

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Begonnen hatte die Eskalation mit einem mutmaßlichen Giftgasangriff auf die letzte damals noch von Rebellen kontrollierte Stadt Duma in der Region Ost-Ghouta am 7. April. Dabei sollen der Hilfsorganisation Weißhelme zufolge mindestens 42 Menschen getötet worden sein. Mehr als 500 Personen wurden demnach in Krankenhäusern behandelt.

Experten der Organisation für ein Verbot von Chemiewaffen (OPCW) wollten am Samstag in Duma untersuchen, ob dort tatsächlich Chemiewaffen eingesetzt wurden. Ihr Auftrag lautet jedoch nicht, die Verantwortlichen zu ermitteln.

Russland hatte den Vorfall als inszenierte Provokation Großbritanniens eingestuft. "Wir haben Beweise, dass Großbritannien an der Organisation dieser Provokation in Ost-Ghouta direkt beteiligt ist", sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow. Die britische UN-Botschafterin Karen Pierce bezeichnete den Vorwurf als "grotesk", "bizarr" und "offenkundige Lüge".