Die SPD-Spitze empfiehlt Koalitionsverhandlungen mit der Union. "Ich glaube, dass wir hervorragende Ergebnisse erzielt haben", sagte SPD-Chef Martin Schulz nach über 24-stündigen Sondierungen am Freitag in Berlin. Ein SPD-Parteitag muss übernächsten Sonntag über die Aufnahme der Koalitionsverhandlungen entscheiden.

SPD-Chef Martin Schulz rechnet in Deutschland fest mit einer Zustimmung des SPD-Parteitages am 21. Jänner zu den Sondierungsergebnissen mit CDU und der CSU. Was er tun werde, wenn der Parteitag nicht zustimme, ließ er in der Aufzeichnung der ZDF-Sendung "Was nun Herr Schulz?" offen.

Er glaube , dass der Parteitag dem Ergebnis zustimmen werde: "Ja, doch, das glaube ich schon, weil wir haben in den Verhandlungen ... eine Menge rausgeholt". 80 Prozent dessen, was sich die SPD vorgenommen habe, seien in der Sondierungsvereinbarung von Union und SPD verankert worden.

Schulz signalisierte, dass er nun doch für einen Posten im Kabinett, etwa den des Außenministers, zur Verfügung stehen könnte. Der SPD-Chef hatte früher erklärt, dass er einem Kabinett Merkel nicht angehören werde. Diese Nein wiederholte er nun auf eine konkrete Frage hin nicht. Er verwies vielmehr auf frühere Äußerungen von CDU-Chefin Angela Merkel, die die SPD schon einmal für auf lange Zeit nicht regierungsfähig erklärt hatte. Im Übrigen würden Personalfragen erst ganz zum Schluss geklärt, unterstrich Schulz.

Jusos-Chef Kevin Kühnert twitterte: "Beim Blinddarm, wie auch in Sondierungsgesprächen: Obacht bei Durchbrüchen". Konkret nannte er die Forderung nach einem höheren Spitzensteuersatz für Topverdiener und die Regelungen zur Flüchtlingspolitik. "Hier steht eine Obergrenze drin", sagte Kühnert mit Blick auf das Ziel der Sondierer, die Zuwanderungszahlen auf 180.000 bis 220.000 zu begrenzen, und die strikte Reglementierung des Familiennachzugs. "Das ist wirklich sehr weit weg von dem, was die SPD als Kriterien festgelegt hat", stellte Kühnert fest.

Die Koalitionssondierer von SPD, CDU und CSU haben sich mit ihrer Grundsatzvereinbarung aber auch in der Wirtschaft zum Teil harsche Kritik eingehandelt. "Unterm Strich wird sich die Wirtschaft statt auf Entlastung eher auf Mehrbelastungen einstellen", bemängelte DIHK-Präsident Eric Schweitzer am Freitag.

Andere Wirtschaftsvertreter warfen den Sondierern vor, ihnen fehle es an Visionen. Auch vermissen die Verbände eine Reaktion auf Steuersenkungen für Unternehmen etwa in den USA. Positiv sieht die Wirtschaft immerhin, dass die Bildung einer Bundesregierung damit näher rücken dürfte.

Die Zuwanderung von Flüchtlingen nach Deutschland soll dem Papier zufolge die Zahl von 180.000 bis 220.000 Menschen pro Jahr nicht überschreitet. Union und SPD wollen aber auch den Familiennachzug für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz mit Einschränkungen wieder zulassen. Pro Monat soll eintausend Menschen der Nachzug nach Deutschland gewährt werden, wie es in einem AFP am Freitag vorliegenden Entwurf des Ergebnispapiers der Sondierungsgespräche heißt.

Pressekonferenz zur Großen Koalition

Der Familiennachzug für subsidiär Geschützte, der noch bis Mitte März ausgesetzt ist, war einer der Knackpunkte bei den Sondierungsverhandlungen.

Union und SPD wollen zudem den Einsatz des umstrittenen Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat drastisch reduzieren. Nach dem am Freitag Reuters vorliegenden Sondierungspapier soll der Einsatz der Chemikalie in der Landwirtschaft deutlich eingeschränkt werden. Ziel sei es, die Verwendung von Glyphosat grundsätzlich zu beenden.

Glyphosat wird für das Insektensterben und den Rückgang der Artenvielfalt in der Natur verantwortlich gemacht. Nach einer Studie der Weltgesundheitsorganisation ist die Chemikalie wahrscheinlich auch krebserregend. 

Nun muss der SPD-Parteitag in der kommenden Woche Ja sagen. Das dürfte schwierig werden. Die Jusos (Jungsozialisten der SPD) etwa wollen Widerstand mobilisieren.

Die Jusos halten die Ergebnisse der Sondierung von Union und SPD für nicht ausreichend, um in eine neue Große Koalition zu gehen. Einige "Kernkriterien" für eine Zusammenarbeit, die die SPD beim Parteitag im Dezember beschlossen habe, seien "deutlich gerissen worden", sagte Juso-Chef Kevin Kühnert am Freitag vor der Berliner Parteizentrale der deutschen Sozialdemokraten.

Konkret nannte er die Forderung nach einem höheren Spitzensteuersatz für Topverdiener und die Regelungen zur Flüchtlingspolitik. "Hier steht eine Obergrenze drin", sagte Kühnert 

"Wir sind auf der Zielgeraden", hieß es Freitagfrüh kurz zuvor aus Teilnehmerkreisen. Zuvor war von Beratungen in verschiedenen Formaten berichtet worden, die immer wieder in der Runde der Partei- und Fraktionschefs zusammenliefen.

Ein Scheitern der Gespräche hätte möglicherweise Neuwahlen bedeutet und das Ende der politischen Karriere von Kanzlerin Angela Merkel und SPD-Chef Martin Schulz.

Die ganze Nacht hindurch war hart verhandelt worden. Zunächst hatten sich die Gespräche stundenlang an den zentralen Themen Migration sowie Finanzen und Steuern verhakt. Auch gegen 7.30 Uhr Freitag früh gab es noch keine Bestätigung für einen Durchbruch bei den Verhandlungen.

Mehrere Unterhändler hatten mitten in der Nacht kurzzeitig den Verhandlungsort verlassen, um sich von den stundenlangen Verhandlungen zu erholen. Lange Zeit war aus den Gesprächen zu hören gewesen, es stehe Spitz auf Knopf.

Spitzensteuersatz soll angehoben werden

Schwierig waren die Gespräche auch im Zusammenhang mit der SPD-Forderung nach einer Anhebung des Spitzensteuersatzes von 42 auf 45 Prozent. Wenn diese Anhebung linear erfolgt, könnte dies auch niedrigere Einkommen treffen. Der Union sei es im Gegenzug wichtig, beim Abbau des Solidaritätszuschlages voranzukommen, hieß es. Zugleich pochte die Union nach diesen Informationen auch angesichts der sprudelnden Steuereinnahmen auf die "schwarze Null" im Haushalt - also den Verzicht auf neue Schulden.

Schulz rückte zum Auftakt der Gespräche auch die Europapolitik in den Mittelpunkt. "Wenn wir in eine solche Regierung eintreten, dann unter der Bedingung, dass sie Europa stark macht", sagte er vor der SPD-Zentrale, wo die entscheidende Runde stattfand. Schulz zeigte sich ebenso Merkel zuversichtlich, dass die Gespräche erfolgreich abgeschlossen werden könnten.

SPD-Parteitag am 21. Jänner

Als entscheidend galt, ob die Sozialdemokraten etwa bei den aus ihrer Sicht zentralen Gerechtigkeitsthemen ausreichende Verhandlungserfolge erzielen könnten. Die SPD-Spitze braucht nach ihrem Wahldebakel bei der Bundestagswahl für den Eintritt in Koalitionsverhandlungen die Zustimmung eines Parteitags, der am 21. Jänner in Bonn stattfinden soll und als große Hürde gilt.