Trotz des wichtigen Etappenerfolgs bei den Brexit-Verhandlungen steht die britische Premierministerin Theresa May in ihrer Heimat weiter unter großem Druck. Während Parteifreunde wie Umweltminister Michael Gove von einem "großen persönlichen und politischen Erfolg" für May sprachen, übten prominente Brexit-Vorkämpfer scharfe Kritik an der Regierungschefin.

Die "Leave.EU"-Kampagne warf May am Freitag eine "vollständige Kapitulation" vor. Auch der frühere UKIP-Chef Nigel Farage kritisierte die Einigung mit Brüssel. "Wir können nun zur nächsten Etappe unserer Erniedrigung voranschreiten", schrieb Farage im Kurzbotschaftendienst Twitter.

Die konservative Zeitung "Daily Mail" warnte: "Je mehr die Eurokraten Frau Mays 'Entschlossenheit' loben, desto unwohler sollten wir uns fühlen." Auch in der "Sun" überwog die Skepsis. May habe "neun lange und schmerzvolle Monate" benötigt, um einen Durchbruch in der ersten Verhandlungsphase zu erzielen - und die größten Herausforderungen stünden noch bevor.

Zuvor war in den lange stockenden Brexit-Verhandlungen ein Durchbruch erzielt worden, zumindest für die erste Phase der Gespräche. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erklärte nach einem kurzfristig in der Früh erfolgten Treffen mit May, es gebe "genügend Fortschritte" für die Einleitung der Phase zwei.

Vor allem sei eine Einigung in der Irland-Nordirland-Frage erzielt worden. Beide Seiten betonten, es werde keine harte Grenze geben, der Friedensprozess durch das Karfreitags-Abkommen werde fortgesetzt. Auch bei den Bürgerrechten gibt es laut Juncker Klarheit. EU-Bürger, die in Großbritannien lebten, würden weiterhin volle Rechte genießen, auch was die sozialen Ansprüche wie Pensionen betreffe.

Allerdings seien noch weitere Verhandlungen ausständig. Durch die Einigung in der Grenzfrage seien andere Teile Großbritanniens wie Schottland jedenfalls nicht betroffen, erklärte May. Für spezielle Themen brauche es bestimmte Lösungen.

Zu den Bürgerrechten sagte Juncker, für EU-Bürger würde der EuGH als Letztinstanz weiter gelten. Dieser Punkt war ja in den bisherigen sechs Verhandlungsrunden der ersten Phase umstritten und von Großbritannien abgelehnt worden.

Details würden in der Folge EU-Chefverhandler Michel Barnier und der britische Brexit-Minister David Davis Freitagvormittag verkünden, sagte der Kommissionspräsident. Juncker verwies darauf, dass es in dieser Woche eine Reihe von Gesprächen zwischen ihm und May, zwischen May und dem irischen Regierungschef Leo Varadkar sowie zwischen dem irischen Premier und ihm, Juncker, gegeben habe. Jedenfalls gebe es genügend Fortschritte, um dem EU-Gipfel in einer Woche die Aufnahme der zweiten Verhandlungsphase mit Großbritannien zu empfehlen. Dabei geht es um die künftigen bilateralen Beziehungen zwischen der EU und London nach dem Brexit.

Tusk bietet Großbritannien Übergangsphase an

Nach dem Durchbruch bei ersten Trennungsfragen bietet die Europäische Union Großbritannien Verhandlungen über eine Übergangsphase nach dem Brexit an. Wie EU-Ratspräsident Donald Tusk Freitag früh sagte, soll Großbritannien in dieser Zeit weiter alle Vorgaben der EU-Mitgliedschaft wie bisher erfüllen, aber kein Mitspracherecht über Entscheidungen mehr haben. "Wir haben unsere Bedingungen", so Tusk.

Die Entscheidung über diese Verhandlungen soll der EU-Gipfel kommende Woche treffen. Die Gespräche sollten dann umgehend beginnen, sagte Tusk. Zudem plane man, "Sondierungsgespräche" über die künftige Partnerschaft zu starten, unter anderem über enge Handelsbeziehungen.

Die genauen Ziele und Bedingungen für diese Verhandlungsphase soll die EU nach dem Willen des Ratspräsidenten aber erst im kommenden Jahr in eigenen Leitlinien festlegen. Zuvor brauche man mehr Klarheit über die Vorstellungen der britischen Regierung für die Zeit nach dem Austritt im März 2019.

"Weißer Rauch" in Brüssel

Der Kabinettschef von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Martin Selmayr, twitterte Freitag früh ein Bild mit weißem Rauch, in Anlehnung an die Tradition des Vatikans bei der Papstwahl.