Drei Wochen nach dem umstrittenen Votum der Katalanen für eine Abspaltung von Spanien treiben die Regierungen in Barcelona und Madrid ihren Konflikt auf die Spitze. Die von Ministerpräsident Mariano Rajoy angestoßene Entmachtung der Separatisten löste in Katalonien am Wochenende Widerstand und scharfe Kritik aus. Am Samstag gingen in Barcelona laut Polizei rund 450.000 Menschen auf die Straße.

Die Demonstranten - darunter der regionale Regierungschef Carles Puigdemont und Bürgermeisterin Ada Colau - skandierten unter anderem "Freiheit, Freiheit!". Viele riefen: "Wir werden die Besetzung Kataloniens nicht zulassen"sowie "Lasst uns die Republik ausrufen". Puigdemont signalisierte in einer ersten Reaktion, dass er sich Madrid nicht beugen werde. Die Präsidentin des katalanischen Parlaments, Carme Forcadell, sprach von einem "Staatsstreich". Die Zentralregierung rechtfertigte ihr Vorgehen am Sonntag als notwendig und forderte die Katalanen auf, die Autorität der spanischen - aber nicht der örtlichen - Behörden anzuerkennen.

Mit dem Krisenbeschluss der Madrider Regierung kommt erstmals der Verfassungsartikel 155 zum Entzug von Autonomierechten zur Anwendung. Die katalanische Regierung lasse ihm und seinem Kabinett keine andere Wahl, sagte Rajoy nach der Krisensitzung.

Rajoy bat den spanischen Senat, Puigdemont und alle anderen Mitglieder der katalanischen Regierung ihrer Ämter zu entheben. Er rief den Senat zudem auf, ihm die Kompetenzen für die Auflösung des katalanischen Parlaments zuzubilligen. Eine Neuwahl in der Region solle dann "in einer Frist von maximal sechs Monaten" stattfinden.

Puigdemont kündigte in einer TV-Ansprache am Samstagabend Widerstand an. Das Vorgehen der Zentralregierung sei "nicht vereinbar mit demokratischen Werten" und widerspreche der Rechtsstaatlichkeit, sagte er.

Der Regionalpräsident warf Madrid vor, "unsere Autonomie und unsere Demokratie liquidieren" zu wollen. Ein solches Vorgehen habe es seit dem Ende der Franco-Diktatur 1975 nicht mehr gegeben.

450.000 Menschen protestierten

Aus Protest gegen das Vorgehen der spanischen Zentralregierung gingen am Abend in Barcelona hunderttausende Menschen auf die Straße. Die katalanische Polizei bezifferte die Zahl der Protestteilnehmer am Samstagabend auf rund 450.000. Sie protestierten gegen die von Madrid eingeleitete Entmachtung der Regionalregierung und forderten die Unabhängigkeit für Katalonien. In Sprechchören riefen sie "Freiheit" und "Unabhängigkeit".

Spaniens Senat könnte bereits in den kommenden Tagen über den Entzug der katalanischen Autonomie abstimmen. Rajoys konservative Volkspartei (PP) hat in der Parlamentskammer die absolute Mehrheit, eine Zustimmung gilt als sicher.

In der Zwischenzeit könnte das katalanische Regionalparlament seine Aufgaben weiter wahrnehmen, allerdings keine neue Regionalregierung wählen oder Gesetze erlassen, die der spanischen Verfassung und dem Autonomiestatut zuwider laufen. In seiner Rede am Samstagabend rief Puigdemont das Regionalparlament zu einer Sitzung ein, um eine Erwiderung an die Regierung in Madrid zu verabschieden.

In Katalonien war am 1. Oktober trotz Verbots ein Unabhängigkeitsreferendum abgehalten worden. 90 Prozent stimmten für die Loslösung von Spanien, allerdings nahmen nur 43 Prozent der Wahlberechtigten an der Abstimmung teil. Das gewaltsame Vorgehen der spanischen Polizei gegen die Teilnehmer hatte die Gräben zwischen Katalonien und der Zentralregierung weiter vertieft.