Mit mehreren Großkundgebungen haben Zehntausende Spanier in den großen Städten des Landes am Samstag für einen Dialog in der Katalonien-Frage demonstriert. Unter dem Motto "Hablamos?" (Reden wir?) versammelten sich die Demonstranten vor den Rathäusern, etwa in Madrid und Barcelona. Die meisten waren ganz in Weiß gekleidet und trugen weiße Schriftbänder und Luftballons.

Immer wieder brandeten Sprechchöre auf: "Wir wollen, dass geredet wird", hieß es da. Mit Blick auf Ministerpräsident Mariano Rajoy und den Chef der katalanischen Regionalregierung, Carles Puigdemont, riefen die Menschen: "Redet oder tretet zurück!"

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In Madrid fand wenige Hundert Meter vom Rathaus entfernt eine zweite Demonstration statt. Tausende Menschen protestierten hier gegen die Trennungspläne der wirtschaftsstarken Region. Die zentrale Plaza Colon hatte sich in ein Meer aus spanischen Nationalflaggen verwandelt. "Ich bin Spanier!", skandierten die Leute. "Katalonien darf sich nicht abspalten, wir sind für die Einheit Spaniens", sagte die Madrilenin Olga der Deutschen Presse-Agentur.

Endergebnis

Die katalanische Regionalregierung gab am Freitag das Endergebnis des umstrittenen Unabhängigkeitsreferendums vom vergangenen Sonntag bekannt. EU-Spitzenpolitiker Manfred Weber warnte vor einer neuen Eurokrise.

90,18 Prozent für Abspaltung

Nach Auszählung aller Stimmen hätten sich 90,18 Prozent der Wähler für die Abspaltung der Region von Spanien ausgesprochen, hieß es auf der Internetseite der "Generalitat", der Regionalregierung. Knapp 2,29 Millionen der 5,3 Millionen Wahlberechtigten seien zu den Urnen gegangen - dies entspricht einer Wahlbeteiligung von rund 43 Prozent.

Die Abspaltungs-Befürworter demonstrierten schon unter der Woche in Barcelona
Die Abspaltungs-Befürworter demonstrierten schon unter der Woche in Barcelona © AP

Die Regierung von Carles Puigdemont hatte zuvor angekündigt, maximal 48 Stunden nach Bekanntgabe des Endergebnisses die Unabhängigkeit von Spanien ausrufen zu wollen. Ob und wann dies geschehen soll, war aber am Freitag weiter unklar.

Eigentlich war für Montag eine Parlamentssitzung angesetzt, bei der die Unabhängigkeit erklärt werden sollte. Aber das Verfassungsgericht hatte die Sitzung am Donnerstag verboten. Die Sprecherin der linken Parlamentspartei CUP, Nuria Gibert, sagte am Freitagabend, die Sitzung werde nicht stattfinden. Puigdemont will nun Medienberichten zufolge am Dienstag vor dem Parlament in Barcelona Stellung zur "aktuellen politischen Lage" beziehen. Ob er dabei die Unabhängigkeit ausrufen oder lediglich das weitere Vorgehen seiner Regierung vorstellen will, blieb offen.

"Ich bitte um Entschuldigung"

Fünf Tage nach der auch international vielfach kritisierten Polizeigewalt während des Referendums entschuldigte sich am Freitag erstmals ein Vertreter der Zentralregierung bei den Verletzten. "Es tut mir sehr leid, und ich bitte um Entschuldigung", sagte Enric Millo, der Vertreter der spanischen Regierung in Katalonien, am Freitag mit Blick auf die knapp 900 Verletzten.

Gleichzeitig gab er der Regierung Puigdemont die Schuld. Denn diese habe die Bürger zu den Wahllokalen geschickt, obwohl die Abstimmung von der Justiz verboten worden war, zitierte das Portal "20 minutos" Millo. In Katalonien waren viele Menschen wütend, weil der spanische Regierungschef Mariano Rajoy die Opfer der Gewalt bisher nie erwähnt und sich nicht bei ihnen entschuldigt hatte.

Die spanische Regierung erhöhte zugleich den wirtschaftlichen Druck auf die widerspenstige Region. Am Freitag verabschiedete sie in Madrid ein Dekret, das Firmen und Banken den Weggang aus Katalonien erleichtert. Ebenfalls am Freitag entschied die Großbank La Caixa, von Barcelona nach Valencia umzuziehen und Katalonien damit zu verlassen. Am Donnerstag hatte schon die Banco Sabadell beschlossen, nach Alicante umzuziehen, ebenso Region Valencia. Für die viertgrößte Volkswirtschaft der Eurozone ist Katalonien wirtschaftlichsehr wichtig. In der Region sind internationale Unternehmen wie Volkswagen tätig, ein großer Teil der Steuereinnahmen fließt nach Madrid.

Große Sorge in der EU

In der Europäischen Union wuchs unterdessen die Sorge wegen der wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen einer Abspaltung Kataloniens von Spanien. Der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP) im EU-Parlament, Manfred Weber, warnte vor einem "europäischen Flächenbrand. Auch eine neue Eurokrise ist nicht auszuschließen, wenn die katalonische Regionalregierung den Konflikt weiter eskalieren lässt", sagte der bayerische Politiker der "Bild"-Zeitung (Samstag). Der deutsche Kommissar Günther Oettinger bezeichnete die Lage als sehr besorgniserregend und warnte vor einem möglichen Bürgerkrieg.

Die EU-Kommission drängte Madrid und Barcelona, schnell miteinander ins Gespräch zu kommen. "Wir wollen, dass dies rasch passiert", sagte ein Sprecher am Freitag in Brüssel. Er blieb aber bei der Haltung der Kommission, sich nicht als Vermittler einzumischen. Die Brüsseler Behörde sieht den Konflikt als innere Angelegenheit des EU-Mitglieds Spanien. Das Schweizer Außenministerium bestätigte am Freitag Medienberichte, wonach Bern grundsätzlich zu einer Vermittlung zwischen Madrid und Barcelona bereit sei. Ein Ministeriumssprecher sagte, dass man mit Vertretern beider Seiten in Kontakt sei. Eine Vermittlung sei aber nur möglich, wenn beide Parteien dies verlangten.