Deutschland fordert Osteuropa auf, endlich "solidarisch" zu handeln.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die Klagen von Ungarn und der Slowakei gegen die Flüchtlingsumverteilung abgewiesen. Beide Länder müssen Flüchtlinge aus Italien und Griechenland im Rahmen des "Relocation"-Programms aufnehmen. Die Klagen gegen den EU-Beschluss zur Umverteilung von 120.000 Schutzsuchenden wurden vom EuGH "in vollem Umfang abgewiesen", hieß es am Mittwoch in dem Urteil.

Die Slowakei akzeptiert nach Angaben des Außenministeriums in Bratislava das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Flüchtlingsumverteilung in der EU, hält seine Bedenken aber aufrecht. "Wir nehmen das Urteil zur Kenntnis und akzeptieren es", sagte Ministeriumssprecher Peter Susko der "Welt" online. Nun müsse man "allerdings noch die Details abwarten".  "Das Urteil ändert nichts an unserer Überzeugung, dass die Verteilung von Flüchtlingen nach Quoten in der Praxis nicht funktioniert."

Ungarn wehrt sich

Scharfe Worte kommen nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), das die verpflichtende Umverteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU bestätigte, aus Ungarn.

Die "wahre Schlacht" gegen des EU-Quotensystem würde erst jetzt beginnen, erklärte der ungarische Außenminister Peter Szijjarto am Mittwoch in Budapest. Er erachte den EU-Beschluss zur Umverteilung weiter als "nicht verpflichtend".

Szijjarto betonte bei der Pressekonferenz einmal mehr die Position Ungarns. Der EU-Beschluss würde die Sicherheit und Zukunft ganz Europas gefährden sowie den Interessen der europäischen Nationen widersprechen. Für den Außenminister handle es sich dabei weder um eine juristische oder fachliche, sondern um eine "politische" Entscheidung. Ungarn werde auf jeden Fall "alle rechtlichen Mittel" ausschöpfen, um gegen die verpflichtende Aufnahme von Flüchtlingen anzukämpfen.

Wie Ungarn das genau anstellen will, ist unklar. Der EuGH ist die höchste juristische Instanz der EU. Berufung gegen das Urteil ist demnach auf jeden Fall nicht möglich.

Für Szijjarto ist die Zeit gekommen, die EU-Flüchtlingsquote endlich ad acta zu legen, da diese eine "erfolglose Antwort" auf die Flüchtlingskrise sei. Neben Ungarn und der Slowakei hatten auch Rumänien und Tschechien im Herbst gegen den EU-Beschluss gestimmt.

Auch Polen und Tschechien bleiben stur

Polen will auch nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) keine Flüchtlinge im Rahmen der Quotenregelung aufnehmen. "Ich habe diese Entscheidung erwartet", sagte die polnische Ministerpräsidentin Beata Szydlo.

Und auch der tschechische Präsident Milos Zeman würde eher auf EU-Subventionen verzichten, als Flüchtlinge in sein Land zu lassen. Damit reagiert Zeman am Mittwoch auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), das die verpflichtende Aufnahme von Flüchtlingen aus Griechenland und Italien bestätigte. Prag hatte ebenfalls gegen den EU-Beschluss zur Umverteilung 2015 gestimmt, allerdings nicht geklagt.

Die EU werde Tschechien unter Drohung der Einstellung von EU-Subventionen zur Aufnahme von "mehreren Tausend muslimischen Migranten" zwingen wollen, sagte der für seine ausländerfeindlichen Aussagen bekannte Präsident und fügte hinzu: "Im schlechtesten Fall ist es immer besser, auf die europäischen Subventionen zu verzichten, als Migranten hier hereinzulassen."

Gabriel: "Endlich solidarisch handeln"

Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel hat die osteuropäischen Staaten nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zur raschen Übernahme von Flüchtlingen aus Griechenland und Italien aufgefordert. "Solidarität ist keine Einbahnstraße", erklärte der Minister am Mittwoch.

Das Urteil des EuGH sei klar und eindeutig, und unter den EU-Partnern müsse auch bei schwierigen Fragen Verlässlichkeit herrschen. Er habe den osteuropäischen Partnern immer gesagt, dass es richtig sei, Fragen gerichtlich klären zu lassen, wenn es Zweifel gebe. "Aber wir können jetzt auch erwarten, und wir erwarten auch, dass sich alle europäischen Partner an das Urteil halten und die Beschlüsse jetzt ohne weiteres Zögern umsetzen."

Die EU-Staaten hatten zunächst im Juni 2015 die Umverteilung von 40.000 Flüchtlingen und im September 2015 von weiteren 120.000 Flüchtlingen innerhalb der EU beschlossen, die internationalen Schutz benötigen. Dies sollte Griechenland und Italien entlasten.

Klagsgrund: "Ungeeignete Rechtslage"

Die Slowakei und Ungarn, die wie Tschechien und Rumänien im Rat gegen das Programm gestimmt hatten, beantragten beim EuGH, den Beschluss für nichtig zu erklären. Sie stützten sich dabei zum einen auf Gründe, mit denen dargetan werden sollte, dass der Erlass des Beschlusses mit verfahrensrechtlichen Fehlern bzw. mit der fehlerhaften Wahl einer ungeeigneten Rechtsgrundlage einhergegangen sei, und zum anderen darauf, dass der Erlass des Beschlusses keine geeignete Reaktion auf die Flüchtlingskrise und zu diesem Zweck auch nicht erforderlich sei.

EuGH: "Beurteilungsspielraum nicht überschritten"

Der EuGH verwies in seinem aktuellen Urteil nun darauf, dass der EU-Gipfel mit seiner Entscheidung vom 25. und 26. Juni 2015 zur Umverteilung seinen "weiten Beurteilungsspielraum nicht überschritten hat", als er annahm, dass die ursprüngliche Regelung einer Umverteilung von 40.000 Flüchtlingen auf freiwilliger Basis nicht genügen würde, um den in den Monaten Juli und August 2015 erfolgten "beispiellosen Zustrom von Migranten zu bewältigen".

Im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof trat Polen dem Rechtsstreit zur Unterstützung der Slowakei und Ungarns bei, während Belgien, Deutschland, Griechenland, Frankreich, Italien, Luxemburg, Schweden und die Kommission als Streithelfer zur Unterstützung des Rates beitraten.

"Zulässige Reaktion auf Notlage"

Der EuGH verwies darauf, dass es den "Unionsorganen ermöglicht ist, sämtliche vorläufige Maßnahmen zu ergreifen, die notwendig sind, um wirksam und rasch auf eine durch den plötzlichen Zustrom von Vertriebenen geprägte Notlage zu reagieren. Diese Maßnahmen dürfen auch von Gesetzgebungsakten abweichen, vorausgesetzt u. a., dass sie hinsichtlich ihres sachlichen und zeitlichen Geltungsbereichs begrenzt sind und weder bezwecken noch bewirken, dass solche Rechtsakte dauerhaft ersetzt oder geändert werden; diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt."

Die Richter in Luxemburg stellten weiter fest, dass der Ministerrat nicht verpflichtet war, den von Ungarn und der Slowakei angefochtenen Beschluss einstimmig anzunehmen, "selbst wenn er in Anbetracht dessen, dass die vorgenannten Änderungen angenommen worden waren, vom ursprünglichen Vorschlag der Kommission abweichen musste. Die Kommission hatte den geänderten Vorschlag nämlich durch zwei ihrer Mitglieder, die vom Kollegium hierzu ermächtigt waren, gebilligt."

Der EuGH erklärt in seinem Urteil ferner, dass "die Gültigkeit des Beschlusses nicht auf der Grundlage einer rückschauenden Beurteilung seines Wirkungsgrads in Frage gestellt werden kann. Wenn der Unionsgesetzgeber die künftigen Auswirkungen einer neuen Regelung zu beurteilen hat, kann seine Beurteilung nämlich nur in Frage gestellt werden, wenn sie sich im Licht der Informationen, über die er zum Zeitpunkt des Erlasses der Regelung verfügte, als offensichtlich fehlerhaft erweist. Dies ist hier aber nicht der Fall, da der Rat die Auswirkungen der Maßnahme in Bezug auf die in Rede stehende Notlage auf der Grundlage einer detaillierten Prüfung der seinerzeit verfügbaren statistischen Daten einer objektiven Analyse unterzogen hat."

Vertragsverletzungsverfahren bei Nichteinhaltung

In diesem Zusammenhang weist der Europäische Gerichtshof insbesondere darauf hin, dass sich die "geringe Zahl der bisher aufgrund des angefochtenen Beschlusses vorgenommenen Umsiedlungen durch mehrere Faktoren erklären lässt, die der Rat zum Zeitpunkt des Erlasses dieses Beschlusses nicht vorhersehen konnte, darunter namentlich die mangelnde Kooperation bestimmter Mitgliedstaaten."

Schließlich stellt der Gerichtshof fest, dass der Rat keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen hat, als er davon ausging, dass das mit dem angefochtenen Beschluss verfolgte Ziel nicht durch weniger restriktive Maßnahmen hätte erreicht werden können.

Hohe Geldstrafen drohen

Sollten Ungarn Polen oder andere EU-Staaten sich nun weiterhin gegen den Beschluss und die Aufnahme von Flüchtlingen sperren, könnte die EU-Kommission auf solider rechtlicher Basis sogenannte Vertragsverletzungsverfahren vorantreiben, die letzten Endes in hohen Geldstrafen münden können. Gegen Ungarn, Polen und Tschechien hatte die Brüsseler Behörde bereits im Juni erste derartige Schritte eingeleitet.