Jeder Tourist, der Israel zum ersten Mal in seinem Leben besucht, kommt hierher: Die Klagemauer in Jerusalems Altstadt, die vor 2000 Jahren als Stützmauer eines riesigen Areals rund um den zweiten jüdischen Tempel diente, ist Israels meistbesuchter Ort. So scheint es nur selbstverständlich, dass auch US-Präsident Donald Trump bei seinem ersten Staatsbesuch in Israel die riesigen Steinquader persönlich in Augenschein nahm.

Tritt ins Wespennest

Doch dieser Besuch ist alles andere als trivial: Trump ist der erste amtierende US-Präsident, der der Stätte einen Besuch abstattet – alle anderen waren vor oder nach ihrer Amtszeit hier. Denn keine Frage ist im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern, ja zwischen Juden und der gesamten muslimischen Welt heftiger umstritten als die Herrschaft über die nur einen Quadratkilometer große Jerusalemer Altstadt. Und in diesem Areal, in dem eine jüdisch-christliche-muslimische Kommission vor einem Jahr insgesamt 326 heilige Stätten ausmachte, ist keine Stätte heikler als der Tempelberg und die Klagemauer. Nirgends sind Religion und Politik, Identität und Nationalstolz enger verwoben; nirgends sind Sensibilitäten und Ängste beider Seiten größer als rund um den heiligen Berg. Und mitten in dieses Wespennest trat Donald Trump.

Die Bedeutung rührt zum einen von der Historie: Seitdem der biblische König Salomon hier vor 3000 Jahren den ersten Tempel errichtete und die Bundeslade aufstellte, bildet der Berg den geografischen und theologischen Mittelpunkt des jüdischen Glaubens. Spätestens nach dem Ende des babylonischen Exils vor 2500 Jahren wird der Berg Moriah von Juden in aller Welt als „Wohnort Gottes“ akzeptiert. Nachdem der Tempel im Jahr 70 n. Chr. zerstört wurde, untersagten die Rabbiner, den Berg zu betreten, weil er zu heilig ist. Seit mehreren Jahrhunderten dient deshalb dessen westliche Stützmauer als „Ersatz“, da sie den heiligen Stätten am nächsten ist. Auch deshalb nannten sich die Anhänger der nationalen Bewegung der Juden Ende des 19. Jahrhunderts „Zionisten“: Zion ist einer der Namen Jerusalems, das Volk sollte zu seinen Wurzeln zurückkehren.

Nur hatte sich in der Zwischenzeit ein anderer Glaube vor Ort etabliert. Im Jahr 638 n. Chr. eroberten die Muslime Jerusalem und errichteten auf dem Tempelberg das älteste muslimische Sakralbauwerk der Welt – den Felsendom – und die Al-Aksa Moschee. Diese gilt heute als drittheiligster Ort im Islam, weil sich spätestens im 10. Jahrhundert die Überzeugung verbreitete, der Prophet Mohammed sei von hier in den Himmel aufgestiegen. Kein Ort im Land ist Palästinensern heute wichtiger: „Ohne die Al-Aksa Moschee wären wir der arabischen Welt egal“, sagte ein palästinensischer Unterhändler zur „Kleinen Zeitung“.
Israelis und Palästinenser wollen diesen Ort beherrschen, würden keiner Friedenslösung zustimmen, die ihnen nicht die Souveränität über den Hügel zuspricht.

Während Israels Unabhängigkeitskrieg 1948 eroberte und annektierte Jordanien den Ostteil Jerusalems, einschließlich Altstadt und Klagemauer. Alle Synagogen wurden gesprengt, Juden vertrieben und bis 1967 der Zutritt zur Klagemauer verwehrt. Die Palästinenser beanspruchen diese Gebiete nun für sich. Doch im Sechs-Tage Krieg eroberte Israel die Altstadt und annektierte sie – ein Schritt, den die Welt nicht anerkannt hat. Die Klagemauer gilt allen außer Israel als besetztes Gebiet, dessen endgültiger Status noch zwischen Israelis und Palästinensern ausgehandelt werden muss.

Diplomatische Querelen

Genau deswegen besuchte bislang kein US-Präsident diesen Ort. Eine Visite in Begleitung von Vertretern einer Seite könnte nämlich das Resultat von Verhandlungen um die endgültigen Grenzen beider Staaten vorwegnehmen. Dies betonten auch Trumps Berater kurz vor dem Besuch: Als die Israelis sich anboten, den US-Präsidenten zur Klagemauer zu begleiten, wurden sie schroff zurückgewiesen: „Was habt ihr dort zu suchen, das gehört nicht zu Israel“, soll ein Berater Trumps gesagt haben. Für Israels Premier Benjamin Netanjahu war das ein Schlag tief unter die historische Gürtellinie – den er nicht unbeantwortet ließ. Im ersten öffentlichen Schlagabtausch mit der neuen US-Administration erteilte er Washington vergangene Woche einen Rüffel.

Letztlich wurde ein Kompromiss gefunden: Der Besuch der Klagemauer gehörte nun nicht zum offiziellen Besuchsprogramm. Er war Privatprogramm des Präsidenten, seiner jüdischen Tochter Ivanka und deren religiösem Ehemann Jared Kushner.
Und dennoch ist der Besuch von immenser Bedeutung: „Kurz nach einem Beschluss der UNESCO, die jede Verbindung zwischen Juden und der Klagemauer verneinte, zollt der Präsident einem der heiligsten Orte des jüdischen Volkes mit einer Kippa auf dem Kopf seinen Respekt,“, sagt Vizeminister Michael Oren. Dies sei „ein Schlag ins Gesicht von UNESCO, der ultimative Rüffel für sie.“ Es ist ein Zeichen, dass Trump Israel als jüdischen Staat unterstützt, und zweifellos auch ein Signal an die Palästinenser, dass er von Anfang an nicht hinter ihrer Forderung steht, Israel müsse sich in Verhandlungen hinter die Grenzen von 1967 zurückziehen.