Bei einem Selbstmordanschlag auf evakuierte Syrer sind am Samstag westlich von Aleppo nach Angaben von Aktivisten mindestens 100 Menschen getötet worden. Der Attentäter zündete der oppositionsnahen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge in der von Rebellen kontrollierten Ortschaft Rashidin seinen Sprengsatz, mit dem er regierungstreue Zivilisten und Kämpfer treffen wollte.

Rund 5000 Menschen aus den regierungstreuen Städten Foua und Kafraya warteten in Rashidin seit Freitag auf ihre Weiterfahrt. Nach Angaben von Aktivisten stoppte die Al-Kaida-nahe Organisation Tahrir al-Sham die Fahrzeuge.

Aus Fuaa and Kafraya geflüchtete Syrer.
Aus Fuaa and Kafraya geflüchtete Syrer. © APA/AFP/OMAR HAJ KADOUR

Bei dem Anschlag gab es auch mehrere Dutzend Verletzte. "Der Selbstmordattentäter saß am Steuer eines Transporters mit Lebensmittelhilfen", teilte die Beobachtungsstelle mit. Er habe den Sprengsatz in der Nähe der rund 75 Busse gezündet, die in Rashidin festsaßen. Die Evakuierung aus vier Städten war am Freitag nach mehrfachen Verzögerungen angelaufen, dann jedoch ins Stocken geraten.

Nach Informationen der Beobachtungsstelle beschwerten sich die Aufständischen, dass bei der Evakuierung von Foua und Kafraya die im März unter Schirmherrschaft des Iran und Katars getroffenen Vereinbarungen nicht eingehalten worden seien. Aus Foua und Kafraya wurden 5000 Menschen evakuiert, die ursprüngliche Vereinbarung sah eine Zahl von 8000 zu Evakuierenden vor. Anstelle der vereinbarten Evakuierung von 2000 regierungstreuen Kämpfern verließen zunächst nur 1300 die beiden Städte.

Streit um Evakuierung

Die oppositionsnahe Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte stützt sich auf ein Netz von Informanten in Syrien. Von unabhängiger Seite sind ihre Angaben nur schwer zu überprüfen. Ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP sah in Rashidin zahlreiche Todesopfer sowie eine große Zahl von Verletzten. Einige Leichen waren verbrannt, auch Kinder wurden getötet.

Das staatliche Fernsehen machte "Terroristengruppen" für den Anschlag verantwortlich. Mit diesem Ausdruck belegen die staatlichen syrischen Medien unterschiedslos die verschiedensten bewaffneten oppositionellen Gruppen in Syrien.

Ein Rebellensprecher bestätigte, dass es Meinungsverschiedenheiten über die Evakuierung von Bewaffneten gab, wollte aber keine Einzelheiten nennen. Er verwies auf "fortlaufende Verhandlungen".

2200 Menschen, die aus den von Aufständischen kontrollierten Städten Madaya und Zabadani herausgeholt worden waren, steckten ihrerseits an einer Transitstelle in regierungstreuem Gebiet fest, wie Amjad al-Maleh, einer der Betroffenen, der Nachrichtenagentur AFP telefonisch berichtete.

Die Menschen verbrachten demnach die Nacht zum Samstag in den Bussen, die in Ramusa feststeckten. Sowohl in Rashidin als auch in Ramusa verteilte die Hilfsorganisation Roter Halbmond an die Wartenden Lebensmittel und Wasser.

Der Aktivist Nahel Nur berichtete, nach der Explosion herrsche unter den Menschen Angst und Panik. Schon zuvor hatte sich das Warten auf die Weiterfahrt zu einem Nervenspiel entwickelt. Nur erklärte, die humanitäre Lage der Wartenden sei sehr schwierig. Die Menschen - darunter viele Frauen und Kinder - hätten seit Freitagmorgen weder geschlafen noch gegessen. Es gebe kaum Toiletten. "(Das ist wie) ein kleines Gefängnis", schrieb Nur über Textnachrichten.

Die im März geschlossene Vereinbarung sieht die Evakuierung von insgesamt 30.000 Menschen in mehreren Etappen vor.