Wie geht es nach dem Verfassungsreferendum am kommenden Sonntag in der Türkei weiter mit den Beziehungen zwischen der EU und der Türkei? Die EU-Beitrittsverhandlungen mit dem Land liegen de facto auf Eis, Europas Flüchtlingsdeal mit Ankara wackelt und der Streit um Wahlkampfauftritte türkischer Politiker vor der Volksabstimmung brachte das Verhältnis auf einen neuen Tiefpunkt. Ein Überblick:

Wo stehen die Beitrittsverhandlungen?

Die Beitrittsgespräche mit Ankara laufen seit 2005. Bisher wurden 16 von 35 sogenannten Verhandlungskapiteln eröffnet, in denen die EU-Standards für eine Mitgliedschaft festgelegt sind. Nach jahrelangem Stillstand hatte die EU die Gespräche als Gegenleistung für die Zusammenarbeit in der Flüchtlingskrise 2015 und 2016 auf zwei neue Bereiche zu Wirtschafts-und Haushaltsfragen ausgeweitet.

Warum liegen die Beitrittsverhandlungen jetzt de facto auf Eis?

Seit dem Putschversuch des Militärs Mitte Juli hat die türkische Regierung Zehntausende Gegner und Kritiker verhaften lassen, darunter zahlreiche Richter, Staatsanwälte und Journalisten. Das Europaparlament forderte deshalb schon im November in einer Resolution "ein vorläufiges Einfrieren" der Beitrittsverhandlungen. Die EU-Mitgliedstaaten beschlossen dann im Dezember, vorerst keine neuen Beitrittskapitel mehr zu eröffnen.

Hält sich Ankara an die Zusagen des Flüchtlingspakts?

Bisher schon. Ankara hatte im März 2016 zugesichert, alle neu auf den griechischen Inseln ankommenden Flüchtlinge zurückzunehmen und stärker gegen Schlepperbanden vorzugehen. Dies führte zu einem starken Rückgang der Ankunftszahlen in Griechenland. Kamen allein von Jänner bis März 2016 nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR noch 151.452 Flüchtlinge in Griechenland an, waren es in den ersten drei Monaten dieses Jahres nur 4.007 - ein Rückgang um 97 Prozent.

Warum droht Erdogan immer wieder mit der Aufkündigung des Abkommens?

Der türkische Präsident kritisiert nicht nur, dass die EU ihre Zusagen bei der Beschleunigung der Beitrittsverhandlungen nicht eingehalten hat. Auch die von der EU in Aussicht gestellte Visa-Freiheit für türkische Bürger steht bisher aus, weil Ankara sich weigert, seine weit gefassten Terrorismusgesetze zu ändern.

Warum hat sich das Verhältnis vor dem Referendum nochmals verschlechtert?

Wegen Millionen im Ausland lebender Türken wollte Erdogan seine Minister in EU-Staaten schicken, um für das Verfassungsreferendum am 16. April zu werben. Nach Auftrittsverboten in Deutschland und den Niederlanden hatte der Präsident beiden Ländern Nazi-Methoden vorgeworfen - und zudem gedroht, die Landgrenzen für Flüchtlinge Richtung EU zu öffnen.

Was passiert mit den Beitrittsgesprächen nach der Volksabstimmung?

Die Skepsis zur Fortsetzung der Beitrittsverhandlungen ist im Europaparlament und in vielen Mitgliedstaaten in den vergangenen Monaten gewachsen - der Umbau des türkischen Staates in ein auf Erdogan zugeschnittenes Präsidialsystem dürfte die Begeisterung für einen EU-Beitritt des Landes nicht erhöhen.

Erdogan selbst hat vor dem Referendum die Beitrittsverhandlungen zur Disposition gestellt und eine Volksabstimmung über sie ins Gespräch gebracht. Auch die Wiedereinführung der Todesstrafe schließt der Präsident nicht aus. Für die EU wäre dies automatisch das Aus für die Gespräche.

Wird der Flüchtlingspakt überleben?

Für Erdogan gibt es handfeste wirtschaftliche Interessen, an dem Abkommen festzuhalten. Die EU hat versprochen, bis 2018 sechs Milliarden Euro zur Verbesserung der Lebensumstände der 2,7 Millionen Syrien-Flüchtlinge in der Türkei bereitzustellen. Zudem ist die EU der mit Abstand größte Handelspartner des Landes.

Dazu beigetragen hat die vor 20 Jahren beschlossene Zollunion. Im Zuge des Flüchtlingsabkommens hat die EU eine Modernisierung der Handelsvereinbarung zugesagt. Die EU-Kommission schlägt die Ausweitung auf Dienstleistungen, öffentliche Beschaffung und Agrarprodukte vor.