In Ihrem Buch „Radikal gerecht“ plädieren Sie für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Es geht Ihnen um nichts Geringeres als eine Revolution des Sozialstaates. Mit Ihrem Modell starten Sie den Versuch, das Thema aus der Ecke der Ideologie zu befreien und es mit den vorgerechneten Vorzügen über alle Parteigrenzen hinweg attraktiv zu machen. Wird der Vorschlag durchkommen?

Straubhaar: Vielleicht nicht kurzfristig, aber ich erkenne doch ein zunehmendes Interesse an dem Thema. Wie wichtig es wird, können Sie gut im aufkommenden Bundestagswahlkampf in Deutschland sehen. Gerechtigkeit, Verteilung und Polarisierung werden die dominanten Themen sein. Zunächst soll das Modell des bedingungslosen Grundeinkommens nur einen Rahmen für die Diskussion bilden. Ich denke auch nicht, dass es in dieser Form kurzfristig umsetzbar ist. Ich verstehe es als Maßstab für alle anderen Modelle, die in den kommenden Monaten aufkommen werden. Dann können wir sachlich bewerten, bei welchen Vorschlägen Luft nach oben wäre, wo sie in eine falsche Richtung gehen und bei welchen konkret das eine oder andere Detail übernommen werden kann.

Sie plädieren für den Abbau des bisherigen Sozial- und Steuersystems. Stichwort war ja einst die Einkommenserklärung auf dem Bierdeckel. Die eingesparten Kosten müssten mehrheitlich zu Jubelstürmen führen. Spüren Sie dennoch Widerstand, etwa aus den Reihen jener, die für einen Wohlfahrtsstaat eintreten, weil dieser auch Arbeitsplätze schafft?

Straubhaar: Es ist ganz offensichtlich, dass es viele Widerstände gibt. Das war auch meine Lehre aus der Analyse früherer Reformvorschläge. Sie haben den berühmten Bierdeckel des CDU-Politikers Friedrich März erwähnt. Sie hätten das radikale Steuermodell des Verfassungsrechtlers Paul Kirchhof erwähnen können, der als Finanzminister vor der Wahl 2005 gegen Kanzler Schröder im Schattenkabinett von CDU-Chefin Merkel stand und alle Einkunftsarten steuerlich mit einer Flat Tax gleich behandeln wollte. Ähnliche Beispiele gibt es aus Österreich und der Schweiz. Wir haben uns Reformbewegungen international angesehen und bei der Analyse immer das gleiche festgestellt. Wenn Sie ein System nur partiell ändern, haben Sie viele Gegner. All jene, die beim Staat beschäftigt sind oder als Steuerberater ihr Brot verdienen oder mit Steuervermeidungsmodellen ihr Geschäftsmodell bestreiten. Auf der anderen Seite fehlen Ihnen die Verbündeten.

Was haben Sie daraus gelernt?

Straubhaar: Meine Lehre daraus war, dass man ein System anbieten muss, das für eine Masse der Bevölkerung klar spürbare Vorteile bringt. Das Grundeinkommen bringt auf der einen Seiten einer ganzen Menge von Menschen klar erkennbare Vorteile und stellt auf der anderen Seite nur eine kleine Teilmenge schlechter. Etwa weil einige aus Kapital Einkommen beziehen, das steuerlich privilegiert wird, oder vom Staat im heutigen System profitieren. Die größere Menge gewinnt und hat zudem auf der steuerlichen Seite die Möglichkeit der Vereinfachung. Wenn die Bemessungsgrundlage verbreitert wird, hilft man damit insbesondere, die kleineren Einkommen zu entlasten.

Sie schlagen 1000 Euro pro Person vom Baby bis zum Greis vor. Bei einer vierköpfigen Familie ergibt das im Jahr ein Grundeinkommen von 48.000 Euro. Nicht nur jene, die einen harten oder gefährlichen Job haben, werden dann vielleicht den Automaten, Robotern und Computern die Arbeit überlassen. Woher nehmen Sie das Vertrauen, dass nicht zu viele sagen werden, ich habe keine große Lust mehr zu arbeiten und setzte mich in ein Kaffeehaus und lese Ihre Bücher?

Straubhaar: Es ist völlig verständlich und nachvollziehbar, dass viele Menschen sagen, mit 48.000 Euro für eine vierköpfige Familie sinkt der Anreiz, arbeiten zu gehen. Aber es gibt dazu interessante empirische Beobachtungen. Denn die Summe ist gar nicht so sensationell viel mehr als das, was Sie heute in Deutschland mit Nichtstun auch erhalten. Denn mit diesen 48.000 Euro ist ja der gesamte Sozialstaat abgedeckt. Sie müssen davon dann ja auch Ihre Beiträge zur Krankenversicherung abdecken. Sie müssen sich etwas zur Seite legen können, um im Alter, wenn Sie nichts mehr dazuverdienen können und sich mehr leisten wollen, als von den 1000 Euro möglich, die es dann immer noch vom Staat gibt. Sie müssen vor allem auch wohnen, auch Miete aus diesen 48.000 Euro finanzieren. Das ist heute alles im Sozialpaket enthalten für Menschen, die nicht arbeiten.

Trotzdem klingen die 48.000 Euro doch verlockend.

Straubhaar: Es gibt noch eine zweite wirklich spannende empirische Beobachtung. Wenn Sie in Deutschland zum Mindestlohn arbeiten gehen, erhalten Sie rund neun Euro. Das entspricht etwa netto sechs, denn Sie müssen von den neun Euro noch 15 Prozent Steuern und 20 Prozent Sozialabgaben zahlen. Wenn Sie 160 Stunden pro Monat arbeiten, haben Sie 960 Euro, wenn Sie nicht arbeiten haben Sie die 400 Euro Hartz VI pro Person für Sozial- und Fürsorge, plus 200 bis 250 Euro für Miete und Heizung, das sind zusammen 600 bis 650 Euro. Sie haben also nur 300 bis 350 Euro netto mehr, haben dafür aber 160 Stunden gearbeitet. Das ist ein Netto-Stundenlohn von rund zwei Euro und von dem Geld müssen Sie vielleicht noch öffentlichen Nahverkehr oder Benzinkosten bezahlen, um zur Arbeit zu kommen. Für diese zwei Euro sind in den vergangenen Jahren Millionen Menschen arbeiten gegangen, die das vorher nicht getan haben. Übrigens in Jobs, die sehr fordernd sind. Zum Beispiel in Wäschereien, in Wachdiensten, in Schlachthöfe oder bei Hand- und Hausarbeiten. Das ist ja der Erfolg dieser Hartz-Reformen in Deutschland.

Das Vorurteil stimmt also nicht?

Straubhaar: Die Zahlen der Reform sprechen gegen das stupide Vorurteil zum Grundeinkommen, alle würden dann in Hängematten liegen. Entgegen dieser Meinung sind Menschen selbst bei rund zwei Euro netto bereit, zum Teil auch sehr harte Arbeit zu leisten. Den Kritikern sagte ich: Hört auf, dieses Märchen weiter zu erzählen, dass keiner mehr arbeiten gehen will. Das Job-Wunder in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren zeigt das pure Gegenteil. Außerdem glaube ich, dass Leute, die jetzt schon gut bezahlte Kopfarbeit erledigen, weiterhin arbeiten gehen werden, weil 1000 Euro nicht deren Lebensstandard deckt. Die meisten Menschen sind mit dem Existenzminimum nicht zufrieden und wenn sie etwas dazuverdienen können, dann werden sie diese Chance auch bei einem Grundeinkommen packen.

Irgendwo her muss das Geld ja kommen. Sie schlagen vor, Maschinen wie Menschen zu behandeln und deren Gewinne auch zu besteuern. Wenn man die Kosten stärker auf die Investitionen und auf jene umlegt, die Arbeit schaffen, fürchten Sie dann nicht, dass es zu Anreizproblemen kommt?

Straubhaar: Das finde ich einen ganz wichtigen Punkt. Vielleicht sogar den wichtigsten, den ich nur rudimentär herausgearbeitet habe. Die Zukunft Österreichs, Deutschlands und unseres europäischen Modells hängt doch nicht davon ab, dass wir mit aller Kraft uns darauf konzentrieren, die Unwilligen irgendwie durch Druck und Zwang dazu zu bringen, die Straße von Hand zu kehren, was ohnehin Maschinen und Roboter viel genauer und besser können und ohne irgendwelches Murren auch machen. Die Zukunft unserer Länder hängt davon ab, ob es uns gelingt, die Massen zu befähigen, zu ermächtigen, zu ermuntern und zu motivieren, etwas zu leisten. Also muss sich ein Sozialstaat nicht auf jene kaprizieren, die nicht wollen, sondern auf jene zu konzentrieren, die etwas bewegen wollen. Das sind die Potenziale. Dort wird sich entscheiden, ob wir in zwei Jahrzehnten mit den aufstrebenden Volkswirtschaften Asiens und Lateinamerikas mithalten können. Auf die kreativen, innovativen, leistungsfähigen Menschen müssen sich Sozialstaat und Wirtschaft konzentrieren.

Damit könnte man auch den administrativen Rahmen des Staates entlasten und für Förderungen auszubauen, oder?

Straubhaar: Ja, genau. Sie ersparen sich den bürokratischen Aufwand. Wir wissen aus vielen Untersuchungen, dass Zwang kein guter Motivator ist, sondern dass Menschen viel kreativer sind, wenn Sie selbst motiviert sind.

Wenn ich eine hohe Investition habe für eine Maschine, gehe ich auch ein großes Risiko ein. Worin steckt der Anreiz für eine Roboter- oder Maschinensteuer?

Straubhaar: Bill Gates hat vor Kurzem vorgeschlagen, eine Robotersteuer zu erheben, weil er gemerkt hat, dass wir auf eine schiefe Bahn kommen, wenn Menschen besteuert werden und Roboter nicht. Denn wenn Roboter Menschen verdrängen, haben wir ja niemanden mehr, der die Steuern bezahlt für jene Leute, die durch Roboter freigesetzt worden sind. Ich halte aber eine Robotersteuer für den falschen Zugang, weil eine Investition ein hohes Risiko ist und sich das Risiko auch auszahlen muss. Wenn Sie Roboter besteuern, haben Sie zudem ein ganz banales Problem. Sie müssen definieren, ab wann ihr Automat ein Roboter ist und wann er nur eine intelligente und computergeführte Maschine. Das ist unmöglich. Sie würden außerdem im Prinzip den technologischen Fortschritt bremsen, die Robotisierung bremsen und den Produktivitätsfortschritt verlangsamen. Im Umkehrschluss heißt das für österreichische Beschäftigte, die noch einen Job haben, dass sie nicht so produktiv sind wie ihre Konkurrenten im Ausland, die mit Robotern arbeiten. Das heißt wiederum, dass der österreichische Arbeiter seinen Job nicht an den Roboter verliert, sondern an seinen Konkurrenten aus Südostasien, der mit dem Roboter besser oder billiger arbeitet.

Was ist denn Ihre Lösung?

Straubhaar: Nach dem vorher gesagten, wäre es klüger, nicht in den Prozess steuerlich hineinzugehen. Es soll sich für Unternehmen lohnen, Roboter einzusetzen. Der Ertrag wird erst in dem Moment besteuert, wenn der Roboter einen Ertrag an die Eigentümer ausschüttet. Ich plädiere für eine Wertschöpfungssteuer, als eine Steuer, die das gesamte Einkommen, welches von einem Unternehmen ausgeschüttet wird, gleichermaßen besteuert. Lohneinkommen werden dabei genauso behandelt wie Kapitaleinkommen also etwa Dividenden, Tantiemen oder ausgeschüttete Gewinne an Eigentümer, Aktionäre oder Familienbesitzer.

Vielleicht brauchen wir im 21. Jahrhundert mit der fortschreitenden Automatisierung irgendwann gar keine Arbeiter mehr. Was machen wir mit den Menschen, die wir dann nicht mehr einbinden können?

Straubhaar: Für genau diese Menschen ist das bedingungslose Grundeinkommen eine Riesenchance, nicht in ein ungewisses Bodenlose zu fallen. Diese Menschen können weiter ihre Existenz finanzieren. Es bietet den Menschen aber auch eine Möglichkeit, die Freisetzung für eine Suche nach irgendetwas Neuem zu nutzen, sich weiterzubilden und weiterzuqualifizieren. Ich bin mir außerdem ganz sicher, dass es neue Jobs geben wird, die viel menschengerechter sein werden, als es in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. Das ist nicht anders als bei früheren Automatisierungswellen. Es wird zum Beispiel mehr Zeit geben, sich wieder gezielt mit älteren Menschen zu beschäftigen. Man kann sich verstärkt den Kindern widmen. Es werden mehr ehrenamtliche Tätigkeiten möglich sein. Wir sollten jedenfalls in dieser Debatte nicht damit beginnen, harte, körperliche und gesundheitsschädigende oder mit Burnout verbundene Tätigkeiten zu verherrlichen. Wenn diese Jobs wegfallen, sollten wir glücklich und nicht traurig sein.

Es wird Menschen geben, die sich einem Weiterbildungsprozess nicht stellen können. Was passiert mit denen?

Straubhaar: Es ist doch keine Lösung, wenn wir Menschen, die ohnehin mit körperlichen oder geistigen Schwierigkeiten kämpfen müssen, auch noch zu Arbeit zu zwingen, die eine Maschine besser und ohne Gesundheitsschädigung erledigen kann. Ich halte es für unwürdig, wenn man ihre Not ausnutzt und sie zwingt, Jobs zu tun, die von der Masse als unwürdig, schmutzig oder gesundheitsgefährdend bewertet werden. Die übrigens schlecht bezahlt werden und – das ist das traurige – auch noch die Lebenserwartung verkürzen. Nutzen wir doch die historische Chance der Digitalisierung, um Arbeit menschenwürdiger zu machen und in allen anderen Bereichen dann von Maschinen erledigen zu lassen.

In Finnland wurde das Grundeinkommen testweise eingeführt. In der Schweiz wurde das Modell in einer Volksabstimmung mit deutlicher Mehrheit abgelehnt. Warum sind die Finnen mutig und die Schweizer nicht?

Straubhaar: Ich halte relativ wenig von diesen Feldstudien und bin mir sicher, dass die Ergebnisse anders ausfallen würden, wenn man den Systemwechsel komplett vollzieht. In Finnland nehmen nur ein paar wenige Tausend teil. Der gesunde Menschenverstand sagt uns, wenn man zwei Jahre Geld bekommt, mit dem man machen kann was man will, werden es viele nur nehmen, um sich für zwei Jahre ein besseres Leben zu leisten oder sich weiterzubilden. Sie wissen ja ganz genau, dass nach zwei Jahren dieses Modell endet und dann wieder ein viel härteres Regime beginnt. Das verzerrt die Ergebnisse und genau das wird man in Finnland auch sehen. In der Schweiz war das Problem, dass man die Höhe des Grundeinkommens nicht fixiert hat, aber dann von sehr hohen Beträgen gesprochen hat. Das hat viele abgeschreckt, was ich auch verstehen kann. Und man hat nicht gesagt, wie man es finanzieren will. Das Modell war völlig unklar und es gab zu viele Unbekannte.