Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan erwägt eine Volksbefragung darüber, ob sein Land die Beitrittgespräche zur Europäischen Union noch fortsetzen soll. Zunächst werde es am 16. April das Referendum über mehr Machtbefugnisse für den Präsidenten geben, sagte Erdogan am Samstag auf einer Veranstaltung in Antalya. Danach aber könnte es ein zweites Referendum über die Beitrittsgespräche geben "und wir würden uns an das Ergebnis halten, wie auch immer unser Volk entscheidet", fügte der Präsident hinzu,

Die EU und die Türkei haben 2005 mit Beitrittsgesprächen begonnen. Aufgrund vieler Unstimmigkeiten, etwa in der Zypern-Frage oder bei Menschenrechten, kamen die Verhandlungen aber nur schleppend voran. In den vergangenen Monaten hat sich das Verhältnis deutlich verschlechtert.

Am Donnerstag hatte Erdogan erklärt, nach dem Referendum am 16. April wolle er die Beziehungen zur EU und das Flüchtlingsabkommen zwischen beiden Seiten auf den Prüfstand stellen. Es werde alles "von A bis Z" auf den Tisch kommen. Erdogan hatte zuletzt vor allem Deutschland und die Niederlande mit Nazi-Vergleichen kritisiert. Vorausgegangen war ein Streit über Auftritte türkischer Politiker in den Ländern, bei denen diese um Unterstützung für das April-Referendum werben wollten.

Wiedereinführung der Todesstrafe

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan will auch internationale Konsequenzen für die von ihm favorisierte Wiedereinführung der Todesstrafe akzeptieren. Wenn die EU erkläre, für eine Türkei mit Todesstrafe sei in der Union kein Platz, sei dies so, sagte Erdogan am Samstag in Antalya.

Er werde eine Entscheidung des Parlaments für die Todesstrafe bestätigen, sagte er. Nach dem gescheiterten Putschversuch im Juni 2016 hat Erdogan mehrfach die Wiedereinführung der Todesstrafe ins Spiel gebracht. Die EU hat deutlich gemacht, dass der Beitrittsprozess der Türkei damit beendet wäre.

Gülen-Anhänger und Putschversuch

Nach Ansicht des Außenpolitischen Ausschusses des britischen Parlaments steht die Bewegung des im US-Exil lebenden türkischen Predigers Fethullah Gülen als solche nicht hinter dem Putschversuch von 15. Juli in der Türkei. In einem am Samstag veröffentlichten Bericht heißt es zugleich, allerdings sei es möglich, dass einzelne Gülen-Anhänger in den Umsturzversuch involviert waren.

Über die Schlussfolgerungen des Ausschusses, der sich auf das Londoner Außenministerium berief, berichtete am Samstag unter anderem der katarische Sender "Al-Jazeera". Demnach beruhten die Hinweise auf eine Putsch-Beteiligung von Gülen-Anhängern meist auf Einzelberichten oder anscheinenden Beweisen, die oft auf Geständnisse oder Informanten zurückgingen. Aus ihnen ließe sich bis jetzt nicht schlussfolgern, dass die Gülen-Bewegung oder deren Führung für den Putsch verantwortlich sei.

Die türkische Regierung und Präsident Recep Tayyip Erdogan machen Gülen direkt für den Putschversuch verantwortlich. Zehntausende Menschen wurden in den vergangenen Monaten verhaftet oder verloren ihren Arbeitsplatz, weil sie Gülen unterstützt haben sollen. Eine Reihe von Gülen-nahen Medien wurde geschlossen oder von regierungstreuen Personen übernommen.

Der einst mit Erdogan verbündete und nunmehr mit ihm verfeindete Prediger und seine Bewegung haben den Putsch verurteilt und jede Verantwortung dafür zurückgewiesen.

Vorige Woche hatte der Chef des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND), Bruno Kahl, der türkischen Regierung bei der Beurteilung des Putschversuchs widersprochen. Er sehe keine Anzeichen dafür, dass die Gülen-Bewegung hinter dem Putschversuch gesteckt habe, sagte er dem Hamburger Nachrichtenmagazin "Der Spiegel".