Die türkische Regierung hat die EU im Streit um Wahlkampfauftritte in anderen Staaten scharf angegriffen. Ein Aufruf Brüssels zur Mäßigung wurde am Dienstag in Ankara als wertlos bezeichnet. Das türkische Außenministerium kritisierte weiter, im Streit um Auftrittsverbote türkischer Minister habe sich die EU an die Seite der Niederlande gestellt, obwohl die Regierung in Den Haag "Menschenrechte und europäische Werte klar verletzt hat". Zuvor hatte Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel scharf angegriffen. "Kanzlerin Merkel stellt sich auch auf die Seite Hollands. Schande über Dich! Du bist also auch deren Meinung. Das bedeutet nichts anderes. Da sie sagt "ich bin auf Deiner Seite" heißt das, dass sie genauso denkt", sagte Erdogan im Interview mit A Haber und ATV am Montagabend.

Deutsch-Türken sind die größte Gruppe

Am 16. April sollen die Türken über eine Verfassungsreform abstimmen. Sie würde die Machtbefugnisse von Staatspräsident Erdogan massiv ausweiten. In Deutschland leben gut 1,4 Millionen wahlberechtigte Türken - die größte Gruppe in der EU.

In ihrem Streit mit europäischen Staaten, darunter auch mit Deutschland, haben türkische Minister im Wahlkampf wiederholt ein Recht auf Einreise und freie Meinungsäußerung eingefordert. Dagegen stellte das Bundesverfassungsgericht für Deutschland klar, weder das Grundgesetz noch das Völkerrecht gebe ausländischen Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern einen Anspruch, in das Bundesgebiet einzureisen, um amtliche Funktionen auszuüben.

Am Montag hatten EU-Nachbarschaftskommissar Johannes Hahn und die Außenbeauftragte Federica Mogherini den Beitrittskandidaten Türkei dazu aufgerufen, "auf überzogene Aussagen und Handlungen zu verzichten, die die Lage weiter zu verschlimmern drohen".

Erklärung der EU ist wertlos

Das türkische Außenministerium teilte dazu mit, die Mitteilung der EU "befeuert Extremismus wie Ausländerfeindlichkeit und anti-türkische Gefühle", weil der Aufruf zur Deeskalation nur an die Adresse der Türkei und nicht an die eigentlich verantwortlichen Staaten gerichtet sei. "Unsere EU-Ansprechpartner wenden demokratische Werte, Grundrechte und Freiheiten nur selektiv an", hieß es weiter. "Aus all diesen Gründen hat die kurzsichtige EU-Erklärung keinen Wert für uns."

Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte mahnte einen Tag vor der Parlamentswahl in seinem Land zur Ruhe. "Wir müssen nun einen kühlen Kopf bewahren", betonte Rutte. Die Türkei hatte zuvor diplomatische Sanktionen gegen die Niederlande verhängt, nachdem am Wochenende die Auftritte von zwei Ministern in Rotterdam verhindert worden waren. Rutte erneuerte seine Forderung, dass sich die Türkei für Bezeichnungen "Faschisten und Nazis" entschuldigen müsste. Die diplomatischen Kontakte zwischen beiden Ländern ruhen zur Zeit.

"Türkei fährt Eskalationsstrategie"

Österreich will mögliche Wahlkampfauftritte türkischer Politiker nicht hinnehmen. Nach den gewalttätigen Auseinandersetzungen von Rotterdam sei klar, dass das Land versuchen müsse, solche Auftritte zu unterbinden, sagte Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) am Montagabend in der "ZiB2". Die Türkei fahre eine bewusste Eskalationsstrategie. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat bisher keine Beschwerde wegen der niederländischen Auftrittsverbote für türkische Minister erhalten. "Uns ist bisher nicht bekannt, dass eine Klage in den Niederlanden oder beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht worden ist", sagte ein Sprecher am Dienstag in Straßburg.

Auch Opposition auf Seiten Erdogans

Nach Anfeindungen aus Ankara hatten die Niederlande am Wochenende Auftritte des türkischen Außenministers Mevlüt Cavusoglu und der Familienministerin Fatma Betül Sayan Kaya in Rotterdam verhindert. Erdogan hatte daraufhin angekündigt, dass sich die Türkei wegen dieser "Verbote" an alle Instanzen, darunter den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, wenden werde.

Der türkische Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu von der Republikanischen Volkspartei (CHP) warf der Regierung in Ankara vor, nicht entschieden genug gegen die Niederlande vorzugehen. "Wenn Sie etwas tun wollen, tun sie es", sagte Kilicdaroglu am Montag lauf "Hürriyet Daily News". Dass dem türkischen Außenminister die Einreise in die Niederlande verweigert worden sei "verletzt unseren Stolz", erklärte der Mitte-Links-Politiker.