Die Spannungen zwischen Berlin und Ankara nehmen zu: Das Auftrittsverbot türkischer Minister in Deutschland ist in der Türkei auf einhellige Empörung gestoßen. Außenminister Mevlüt Cavusoglu warf Deutschland Doppelmoral vor. Wenn Deutschland die Beziehungen zur Türkei aufrechterhalten wolle, müsse es "lernen, sich zu benehmen". Er forderte eine Behandlung seines Landes auf Augenhöhe. "Sie müssen uns als ebenbürtigen Partner betrachten", sagte er. 

Selbst die größte türkische Oppositionspartei, die kemalistische CHP, übte Kritik. "Das ist ganz und gar nicht in Ordnung", sagte CHP-Chef und Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu nach Angaben der Nachrichtenagentur DHA am Freitag in Istanbul. An die Adresse Deutschlands fügte er hinzu: "Einerseits belehrt ihr die Welt über Demokratie, andererseits wollen zwei Minister einer Partei sprechen, aber aus diesem oder jenem Grund verbietet ihr diese Rede. Das finden wir keineswegs richtig."

Kilicdaroglu ist strikt gegen das Präsidialsystem, für das die Minister in Deutschland werben wollten und über dessen Einführung in der Türkei am 16. April in einem Referendum abgestimmt wird.

Die deutsche Regierung hat die türkische Kritik an der Absage zurückgewiesen. Die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer verwies  auf die föderale Struktur der Bundesrepublik. Die Regierung habe die Entscheidungen der zuständigen Behörden in Gaggenau und Köln zur Kenntnis genommen, respektiere sie, habe sie aber nicht zu kommentieren.

Am Donnerstagabend wandte sich der deutsche Justizminister Heiko Maas (SPD) mit einem emotionalen Schreiben an seinen türkischen Amtskollegen. Maas kritisiert darin die Inhaftierung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel deutlich, warnt die Türkei vor einem "Abbau des Rechtsstaats" - und zeigt sich enttäuscht darüber, dass ein direkter Dialog mit der türkischen Seite kaum möglich sei.  Zum Fall Yücel schreibt der SPD-Politiker: "Diese Entscheidung hat mich erschüttert. Den Umgang mit Herrn Yücel halte ich für unverhältnismäßig, zumal er sich der türkischen Justiz für Ermittlungen freiwillig zur Verfügung gestellt hatte". Erneut forderte er die Freilassung Yücels aus der Untersuchungshaft. 

Das türkische Außenministerium bestellte nach einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am Donnerstagabend den deutschen Botschafter in Ankara, Martin Erdmann, ein.

Zuvor hatte die baden-württembergische Stadt Gaggenau einen Wahlkampfauftritt des türkischen Justizministers Bekir Bozdag aus Sicherheitsbedenken abgesagt. Bozdag selbst ließ daraufhin ein Treffen mit Justizminister Heiko Maas platzen. Darüber hinaus lehnte die Stadt Köln eine Anfrage für einen Auftritt des türkischen Wirtschaftsministers Nihat Zeybekci am Sonntag ab.

Nach der Bombendrohung gegen das Gaggenauer Rathaus hat die deutsche Polizei Entwarnung gegeben. "Nach umfassenden Abklärungen konnte in dem Gebäude nichts Verdächtiges festgestellt werden", teilten die Beamte mit. Die telefonische Bombendrohung war nach Angaben von Polizei und Stadtverwaltung gegen 08.00 Uhr morgens eingegangen. Einem Stadtsprecher zufolge begründete der unbekannte Anrufer die Drohung mit der Absage eines Auftritts des türkischen Justizministers Bekir Bozdag in Gaggenau am Donnerstag. Die Stadt hatte dies mit Sicherheitsbedenken begründet. 

Das Verhältnis zwischen Berlin und Ankara ist wegen der Inhaftierung des "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel derzeit ohnehin belastet. Der Sprecher des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, Ibrahim Kalin, sprach nach dem Auftrittsverbot für Bozdag von einer "Skandal-Entscheidung". "Mit solchen Entscheidungen kommt das wahre Gesicht derjenigen offen zum Vorschein, die bei jeder Gelegenheit versuchen, der Türkei Lektionen in Demokratie und Meinungsfreiheit zu erteilen."

Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) sagte, die Entscheidung über Zulassung oder Verbot von Wahlkampfveranstaltungen türkischer Politiker in Deutschland liege alleine bei den Kommunen. Weder die Länder noch die Bundesregierung hätten die Kompetenz festzustellen, ob eine Veranstaltung ohne Störung der öffentlichen Sicherheit stattfinden könne. "Es wäre uns gar nicht rechtlich möglich, eine solche Entscheidung als Bundesregierung zu treffen."

Gaggenaus Bürgermeister Michael Pfeiffer (parteilos) sagte zur Absage, der Schritt der Kommune sei keine politische Entscheidung. Es sei zunächst nicht bekannt gewesen, dass der türkische Minister kommen solle. Es sei nun aber zu befürchten, dass wegen seines umstrittenen Wahlkampfauftritts mehr Menschen kämen, als die Halle mit ihren 500 Plätzen fassen könne.

Die Stadt Köln lehnte einen Auftritt des türkischen Wirtschaftsministers Zeybekci am Sonntag im Bezirksrathaus Köln-Porz ab. "Es gibt keinen Mietvertrag für diese Veranstaltung am 5. März und es wird auch keinen geben", sagte eine Sprecherin der Stadt. Zeybekci will laut "Kölner Stadt-Anzeiger" online nun am Sonntag eine Veranstaltung eines türkischen Kulturvereins im Forum Leverkusen besuchen. Es bleibt aber bei einem weiteren geplanten Auftritt des Politikers in Leverkusen. "Die Veranstaltung wird stattfinden, wir werden sie nicht absagen", sagte ein Sprecherin der nordrhein-westfälischen Stadt am Freitag der Nachrichtenagentur AFP. Zeybekci wird dort am Sonntag bei einer Kulturveranstaltung eines türkischen Vereins zu Ehren eines verstorbenen türkischen Musikers erwartet und soll ein Grußwort sprechen.

Bozdag und Zeybekci wollten bei den Veranstaltungen für ein Ja bei der Volksabstimmung über das von Staatschef Recep Tayyip Erdogan angestrebte Präsidialsystem werben. Bei dem für den 16. April geplanten Referendum sind auch rund 1,4 Millionen Türken in Deutschland wahlberechtigt. Unter dem Präsidialsystem würde Erdogan mit deutlich mehr Macht ausgestattet. Weite Teile der türkischen Opposition befürchten eine Ein-Mann-Herrschaft.