Hans Christian Cars verspürte eigentlich nie den Drang, ein Flugzeug zu fliegen. Er interessierte sich als Jugendlicher nicht einmal für die Bücher des Abenteuerpiloten Biggles, die damals in seiner Heimat Schweden nahezu jeder Heranwachsende verschlang. Doch dann kam dieser verwegene Plan, waghalsig, ja lebensgefährlich, und der Schwede begab sich am Ende als junger Mann doch in eine Flugschule. Alles für einen einzigen Flug. Doch der sollte es in sich haben.

Der 78-Jährige lehnt sich beim Erzählen in seinem Sessel zurück und schaut auf seine Frau Isolde. Das Ehepaar hat es sich an seinem Esstisch in der Altbauwohnung in Hörweite zum Wiener Naschmarkt gemütlich gemacht. Die tiefe Verbundenheit der beiden sitzt unübersehbar mit am Tisch. „Als ich das Flugzeug nach dieser Geschichte in Salzburg endlich abstellen konnte, war ich eigentlich ganz erleichtert“, sagt Cars so beiläufig, wie es nur geht. Doch dann müssen seine zwei Jahre jüngere Frau und er herzhaft lachen über diese charmante Untertreibung. Immerhin stand ihrer Liebe die gefährlichste Grenze der Welt im Weg.

Hans Christian und Isolde Cars
Hans Christian und Isolde Cars © (c) Christian MUELLER (Christian MUELLER)

Es war 1965 im Schatten des Kalten Krieges, als der junge Stockholmer Hans Christian Cars in einem Zug nach Prag die junge Studentin Isolde aus Ostberlin traf. „Ich habe mich sofort in sie verliebt“, sagt er und blickt sie dabei über den Tisch an. Nach zwei aufregenden Tagen in Prag, weiteren Treffen in Budapest stand fest, man will sich wiedersehen. Doch dafür blieb nur eine Möglichkeit: Der Schwede musste sie in der DDR besuchen, denn die junge Frau durfte ja nicht ausreisen.

Zeichnung in der schwedischen Zeitung "Expressen"
Zeichnung in der schwedischen Zeitung "Expressen" © Cars

Mit dem Anwachsen der Gefühle wuchs auch der Wunsch, das Leben gemeinsam zu verbringen. Doch wie? Fluchthelfer wollten die beiden nicht, erzählt das Paar. Auch andere Fluchtwege, die sich beide überlegten, schienen doch immer zu gefährlich. Einweihen wollten sie auch niemanden. „Wir haben unseren Familien nichts gesagt“, erzählt Isolde Cars. So wollten sie das Risiko minimieren, entdeckt zu werden, und am Ende auch ihre Familien schützen, wenn diese von der Staatssicherheit der DDR befragt würden.
Und dann kam Hans Christian Cars eine waghalsige Idee: Er würde unter einem Decknamen Fliegen lernen, Isolde auf ein Feld in der Tschechoslowakei lotsen, sich selbst in Wien in ein Flugzeug setzen und sie mit einem kurzen Flug über den Eisernen Vorhang erst nach Österreich holen und weiter nach Westdeutschland bringen. Es wurde daraus eine der spektakulärsten Fluchten aus der DDR.

Vor drei Jahren hat sich Cars hingesetzt und diese abenteuerliche Liebesgeschichte in seiner Muttersprache Schwedisch aufgeschrieben. „In der Pension hatten wir ja nun endlich Zeit dafür“, sagt der ehemalige Chef mehrerer internationaler Organisationen, die ihren Sitz in Wien haben. Nach 50 Jahren wollte er die Geschichte mit der Welt teilen, denn damals hatten zwar ein Jahr darauf die schwedische Zeitung „Expressen“ und das deutsche Magazin „Stern“ exklusiv darüber berichtet, aber das sei nun ja auch schon lange her. Das Buch soll in Zeiten auflebender Grenzen, zurückkehrender Kontrollen und sogar dem Wunsch, neue Mauern zu bauen, auch ein wenig eine Erinnerung daran sein, was das Leben mit Mauer bedeuten kann.

Die Cars in Stockholm
Die Cars in Stockholm © Cars

Denn die Flucht wäre beinahe schiefgegangen. Denn erstens spielte das Wetter im August 1966 zunächst überhaupt nicht mit und dann misslang der erste Versuch auch vollends, weil beide sich auf dem Feld verpassten. Am Ende ging es doch noch gut. Und Cars bekam mächtigen Ärger. Doch nur vom Flugplatzleiter in Wien, weil er keine gültige Nachtfluglizenz hatte und bei der Landung mittlerweile die Dunkelheit hereingebrochen war. „Doch das war mir egal“, erzählt Cars und seine Frau ergänzt: „Er ist dann nie wieder in ein Flugzeug gestiegen.“ Es war ja auch nicht mehr notwendig. „Der Zweck war erfüllt“, fügt er lachend an. Das Flugzeug hatte nur einmal als Transportmittel zu dienen für ihn.

Doch das schöne gemeinsame Leben, das sich beide erträumt hatten, trat so schnell nicht ein. Isolde musste ihre Anfangszeit in einem der Aufnahmelager für DDR-Flüchtlinge verbringen und konnte nicht so schnell wie erhofft ihr Medizinstudium fortsetzen. In der Bundesrepublik betrachtete man sie skeptisch, weil man sich nicht erklären konnte, wie ihr die Flucht so allein hatte gelingen können. „Ich kam ja mit Kostüm und Stöckelschuhen daher und hatte keinerlei Gepäck. Die meisten Menschen sehen doch anders aus, wenn sie durch Wald und Wiese über die Grenze getürmt sind.“ Man vermutete, sie sei eine ostdeutsche Spionin.

Zeichnung in der schwedischen Zeitung "Expressen"
Zeichnung in der schwedischen Zeitung "Expressen" © Cars

„Sie wollten wissen, wer dir geholfen hat“, wendet sich Cars an seine Frau, „sie wollten Druck ausüben.“ Doch da hielten beide dicht. Sie erzählte keine Details, weil sie ihren Liebling nicht verraten wollte. Erst nach der Hochzeit am 12. August 1967 lüfteten sie ihr spektakuläres Geheimnis und sie bekam ein Stipendium in Deutschland. Und dann begann für beide endlich eine normale Ehe.