Da eine baldige Lösung des Konflikts zwischen der Ukraine und Russland nicht in Sicht ist, muss zumindest die humanitäre Lage der Menschen in der Ostukraine verbessert werden. Diesen bereits zuvor gewonnenen Eindruck bekam Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) als amtierender OSZE-Vorsitzender am Montag bei einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko in Kiew bestätigt.

In den zwischen der ukrainischen Armee und den nach Russland tendierenden Separatisten umkämpften Regionen Donezk und Luhansk seien nicht weniger als drei Millionen Menschen von humanitärer Hilfe abhängig, erinnerte Kurz am späten Abend in der ukrainischen Hauptstadt an die Dimensionen dieses Konflikts. Zwei Millionen Menschen seien bereits geflohen.

Strom, Wasser und Nahrung knapp

Es gebe in der Region, die zu Sowjetzeiten noch zu den reicheren Regionen der damaligen UdSSR gezählt hatte, beispielsweise keine Postverbindungen und mitunter dramatische Schwierigkeiten bei der Strom-, Wasser- und Nahrungsmittelversorgung. Unter den Todesopfern der vergangenen Monate waren einige Kinder, wobei auch Familien von Separatisten betroffen waren. Martin Sajdik, österreichischer Top-Diplomat und OSZE-Sonderbeauftragter in der Ukraine, erinnerte gegenüber österreichischen Journalisten an zwei Buben im Alter von sechs und sieben Jahren. Sie waren mit herunterhängenden Stromleitungen in Berührung gekommen und auf der Stelle tot.

Die Jugend sei großteils verschwunden, dafür viele pflegebedürftige Menschen zurückgeblieben, resümierte der Außenminister noch einmal seine Eindrücke von seiner ersten OSZE-Reise in diesem Jahr, die ihn Anfang Jänner direkt in das Krisengebiet geführt hatte. Erschwerend kommt hinzu, dass die ukrainischen Behörden nach wie vor keine Pensionen in die von den Rebellen dominierten Regionen auszahlen.

Angesichts solcher Missstände will Kurz bei seinen Besuchen in Kiew, wo er am heutigen Dienstag Außenminister Pawlo Klimkin treffen wird, und in Moskau, wo am Mittwoch ein Gespräch mit dem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow auf dem Programm steht, vor allem ausloten, welche Schritte es zu Unterstützung der leidgeprüften Bevölkerung geben könnte. "Wir gehen auf beide Seiten zu", skizzierte der ÖVP-Politiker sein Verständnis für die Rolle, die er als österreichischer Außenminister während des heurigen Vorsitzes in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) einnehmen will.

Inhaltlich liegen die Positionen Kiews und Moskaus doch deutlich auseinander. Poroschenko verlangt weiter eine harte Linie gegenüber Russland. Das wurde bei dem Treffen am Montagabend bestätigt. An eine Annäherung ist aus ukrainischer Sicht nicht zu denken, solange keine Verbesserungen bemerkbar sind. Oberstes Ziel ist nach wie vor ein tatsächlich funktionierender Waffenstillstand.

Trump als Unsicherheitsfaktor

Durchaus für Unruhe sorgt in Kiew auch die Ungewissheit, was die baldige Übernahme des Amts des US-Präsidenten von Donald Trump für die weitere Entwicklung des Konflikts zu bedeuten hat. Trump hatte zuletzt mehrmals betont, wie wichtig ihm ein gutes Verhältnis zu Russlands Präsidenten Wladimir Putin sei.

Auch Kurz will die Tür zu Moskau nicht zuschlagen. "Wir können in Europa nur Sicherheit haben, wenn es ein gutes Miteinander gibt", unterstrich er am ersten Tag der aktuellen Ukraine-Reise seine bereits bekannte Position. "Frieden auf unserem Kontinent kann es nur mit und nicht gegen Russland geben. Allein die Schuldfrage zu lösen, ist zu wenig, wir brauchen einen Ausweg."

Als OSZE-Vorsitzender wolle er daher durch Gespräche "mit beiden Seiten" erörtern, welche Möglichkeiten es geben kann, die in der Region tätige Sonderüberwachungsmission (SMM) zu stärken. Diese OSZE-Einheit ist seit fast drei Jahren präsent, um eine Ausweitung des bewaffneten Konflikts zwischen Armee und Separatisten zu verhindern. Etwa 600 Militärbeobachter sind in den umkämpften Regionen Donezk und Luhansk tätig, knapp 100 weitere im Rest des Landes.

Beobachtungen weiter ausdehnen

Ziel müsse es sein, die Beobachtungen weiter auszudehnen, etwa auf die Nacht, und auch die Ausrüstung zu verbessern. Der Ukraine schweben sogar eine Ausweitung auf eine Polizeimission oder gar bewaffnete Einheiten vor. Ein Vorhaben, das von Russland mehr als skeptisch beäugt wird und daher nicht wirklich realistisch ist. Dennoch sollten einige Vorhaben nicht illusorisch sein. "Mehr Checkpoints" zum Beispiel, damit die Leute die Zonengrenzen "unkomplizierter passieren" können. Doch könne die Mission auch jetzt schon Erfolge aufweisen, hielt Kurz fest: "Es gibt weniger Gewalt und Tote als vorher."

Ein Ziel der OSZE-Mission ist eine Umsetzung der "Minsker Abkommen", die 2014 und 2015 in der weißrussischen Hauptstadt unterzeichnet wurden. Damit versucht ein Quartett aus Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine, den Krieg zu beenden. Trotz Waffenruhe wurde vorerst aber meist weiter gekämpft. Die Ukraine sperrt sich gegen ein Wahlgesetz und eine Autonomie für den Osten, die aus ihrer Sicht nicht nur den russischen Einfluss zementieren würde, sondern durch eine weitere Dezentralisierung das Staatsgebilde an sich gefährden könnte. Schließlich hatte ursprünglich auch die mittlerweile de facto von Russland einverleibte Halbinsel Krim Autonomierechte gehabt.

Wie verfahren das schwierige Verhältnis der einander feindseligen Staaten ist, zeigt auch der Umstand, dass es keine Direktflüge zwischen den Hauptstädten mehr gibt. Sie waren vor rund einem Jahr im Zuge von Wirtschaftssanktionen gestrichen worden. Um am Mittwoch in Moskau den russischen Außenminister Serej Lawrow treffen zu können, muss Kurz daher mit seiner Delegation einen weiten Umweg über Warschau machen.