Der US-Kongress hat Präsident Barack Obama die größte innenpolitische Niederlage seiner Amtszeit bereitet, die eine schwere diplomatische Krise mit dem Bündnispartner Saudi-Arabien auslösen könnte. Das Parlament in Washington überstimmte am Mittwoch mit großer Mehrheit ein Veto Obamas gegen ein Gesetz, das Angehörigen der Terroranschläge des 11. September 2001 Klagen gegen Riad ermöglicht.

Angehörige der Opfer der Terroranschläge können nun Saudi-Arabien wegen staatlicher Unterstützung von Terrorismus verklagen. Obama hatte das Gesetz als nicht mit dem Völkerrecht vereinbar beeinsprucht. Die USA müssten im Gegenzug zahlreiche Klagen wegen des Vorgehens ihrer Soldaten in fremden Ländern fürchten, warnte der Demokrat. Die saudische Regierung drohte mit dem Verkauf ihrer großen Vermögenswerte in den USA, sollte das Gesetz in Kraft treten. 15 der 19 Attentäter des 11. September waren saudische Staatsbürger.

Attentäter unterstützt?

Hintergrund des Gesetzes sind Vorwürfe, wonach es "systematische Unterstützung" aus Saudi-Arabien für die Attentäter des 11. September gegeben habe. Dieser Verdacht steht seit Jahren im Raum, konnte aber unter anderem deshalb nie belegt werden, weil ein brisantes Dokument lange unter Verschluss gehalten wurde. Es geht um den Abschlussbericht der  Untersuchungskommission von Senat und Repräsentantenhaus. 28 Seiten aus diesem Bericht waren auf Anweisung des damaligen Präsidenten George W. Bush nur geschwärzt veröffentlicht worden.

Lange unter Verschluss

Der demokratische Abgeordnete Bob Graham war der Vorsitzende dieser Untersuchungskommission und seinerzeit auch Leiter des Geheimdienstausschusses. Er forderte, die geschwärzten Passagen freizugeben: "Diese 28 Seiten werden zusätzliche Beweise dafür liefern, dass es eine systematische Unterstützung gab. Und dass dieses System seinen Ursprung vor allem in Saudi-Arabien hat", sagte Graham im Juni im Interview mit dem ARD-Magazin "Monitor".  "Die Geschichte von 9/11 muss neu geschrieben werden."

Es gehe nicht nur um Einzelpersonen, sondern auch um die saudische Regierung, das saudische Ministerium für Islamfragen und um saudische Wohltätigkeitsorganisationen. Darüber hinaus seien auch „Diplomaten, sowohl im Konsulat in Los Angeles, als auch an der Botschaft in Washington und weitere saudische Staatsbürger“ in die Finanzierung verstrickt gewesen.

Einige Passagen bleiben geschwärzt

Im Juli wurden die geheimnisumwobenen 28 Seiten endlich freigegeben. Saudi-Arabien hat die Veröffentlichung begrüßt und die Angelegenheit für erledigt erklärt. Der Bericht habe Saudi-Arabien entlastet. Tatsächlich ist man jedoch nach der Lektüre der 28 Seiten nicht viel klüger als zuvor: Einiges ist nach wie vor geschwärzt. Die Fragen bleiben, es wurde ausdrücklich festgehalten, dass die angeblichen Verbindungen, auf die im Bericht verwiesen wird, nicht verifiziert wurden.

Fünfzehn der 19 Attentäter von 9/11 waren saudi-arabische Bürger. "Laut diversen FBI-Dokumenten und einem CIA-Memorandum", steht im Bericht zu lesen, "hatten einige der Flugzeugentführer, während sie sich in den USA aufhielten, Kontakte zu Personen, die vielleicht in Verbindung mit der Regierung Saudi-Arabiens standen." Im Bericht sind diese Fälle aufgelistet: Dazu gehören Kontakte zwischen Saudi-Arabern in Kalifornien, mögliche Überweisungen von Mitgliedern der saudischen Königsfamilie an die Attentäter sowie die Behauptung, dass ein Beamter des saudi-arabischen Innenministeriums im gleichen Hotel in Virginia abgestiegen ist wie einer der Flugzeugentführer.

Enthalten ist auch der Bericht, dass Omar al-Bayoumi, angeblich ein saudi-arabischer Geheimdienstler, zwei der Täter getroffen habe, nachdem sie in San Diego eingetroffen waren. Laut FBI war sein Gehalt zwei Monate, nachdem die beiden in Kalifornien eingetroffen waren, von 465 auf 3700 Dollar gestiegen.

Keine endgültige Klärung

Das Büro der US National Intelligence hielt fest, dass die Freigabe der 28 Seiten nicht bedeute, dass es die Schlussfolgerungen teile, denen zufolge es Verbindungen gegeben habe. In einem anderen Bericht, der beurteilen sollte, ob Riad vor oder nach 9/11 Al-Kaida unterstützt habe, heißt es, dass die saudische Regierung und etliche saudische Institutionen von Sympathisanten Osama Bin Ladens infiltriert waren, die sich ihrer bedienten.

Besonders Hinterbliebene der 9/11-Opfer hatten auf die Veröffentlichung gedrängt – und auf den jetzt von Senat und Repräsentantenhaus durchgesetzten Gesetzesentwurf, der die juristische Verfolgung saudischer Offizieller in den USA wegen Beteiligung an 9/11 erlaubt. Er setzt eine andere Bestimmung außer Kraft, wonach Staaten und ihre offiziellen Vertreter in den USA Immunität genießen, sofern sie nicht explizit auf die Liste jener Staaten gesetzt wurden, die von den USA als Unterstützer des Terrors geführt werden - wie der Iran, der Sudan und Syrien.

Angst vor Folgen

Obama hatte den "Justice Against Sponsors of Terrorism Act" als nicht mit dem Völkerrecht vereinbar beeinsprucht. Die USA müssten dafür im Gegenzug zahlreiche Klagen wegen des Vorgehens ihrer Soldaten in fremden Ländern fürchten, warnte er. So könnte US-Militärpersonal wegen der umstrittenen Drohneneinsätze in Afghanistan und Pakistan von ausländischen Gerichten belangt werden.

Auch die EU hatte eine Warnung ausgesprochen: Das Beispiel könnte in anderen Ländern Schule machen und dazu führen, dass die diplomatischen Immunitätsbestimmungen generell ausgehebelt würden.

Komplexe Beziehungen

Die saudische Regierung hatte gedroht, ihre Besitztümer in den USA – etwa Beteiligungen an Immobilien und Banken – auf den Markt zu werfen, sollte das Gesetz in Kraft treten. Die Beziehungen der USA zu Saudi-Arabien sind insgesamt kompliziert: Einerseits gilt Saudi-Arabien als Brutstätte eines fundamentalistischen Islam, der viele terroristischen Aktivitäten in aller Welt inspiriert. Andererseits sind die Saudis an manch anderer Front auch Verbündete der USA. Die Stimmung kippt jedoch. Vergangene Woche sprach sich etwa der Senat dafür aus, die Waffenlieferungen an den Verbündeten Saudi-Arabien zu beschränken, solange diese ihre Übergriffe auf Zivilisten im Jemen nicht stoppten.

"Das Veto eines Präsidenten zu überstimmen, das tun wir nicht leichtfertig. Aber es war in diesem Fall wichtig, es den Angehörigen der Opfer zu übermöglichen, dass sie zu ihrem Recht kommen, auch wenn das unbequeme diplomatische Folgen nach sich ziehen könnte", erklärte der demokratische Senator Charles E. Schumer (New York) nach dem Votum.

Obama selbst zeigte Verständnis für das Votum, auch wenn er es für einen Fehler halte. "Alle von uns tragen immer noch die Narben und das Trauma des 11. September mit sich." Seine Aufgabe als Oberbefehlshaber sei es aber, die Mission der USA insgesamt nicht zu gefährden. Das Gesetz sei weder dazu geeignet, künftige Anschläge zu verhindern, noch verbessere es die Antwort auf solche Anschläge substanziell.