Mit fünf Stichen musste die Stirn des polnischen Universitätsprofessors Jerzy Kochanowski genäht werden. In einer Warschauer Tram hatte er Deutsch gesprochen, dafür wurde er niedergeschlagen. "Ein Mann stand auf und gab mir einen Kopfschlag ins Gesicht. Ich war blutüberströmt", sagt der 56-jährige Historiker der Zeitschrift "Polityka".

Glimpflicher kamen Tage später zwei Asiatinnen davon, die in der polnischen Hauptstadt in der Metro bedroht wurden. "Der Mann hatte geschrien, dass sie aus Polen verschwinden sollen, dass sie bestimmt illegal hier sind", wird eine Augenzeugin von der "Gazeta Wyborcza" zitiert. Bevor es zu Handgreiflichkeiten kommen konnte, führten Sicherheitskräfte den Täter ab.

Die steigende Zahl rassistisch motivierter Verbrechen versetzt polnische Menschenrechtler in Sorge. Bis August bearbeitete das Büro des Bürgerrechtsbeauftragte Adam Bodnar bereits mehr Fälle als im gesamten vergangenen Jahr, wie es der Deutschen Presse-Agentur mitteilte.

Häufigster Grund für die Angriffe sind demnach Vorurteile, vor allem gegenüber Arabern, Muslimen und Roma. Der Ombudsmann für Bürgerrechte spricht von einer "bedrohlichen Feindseligkeit" gegenüber Migranten und anderen Religionen. Schuld sind demnach unverantwortliche Äußerungen und fremdenfeindliche Mythen zur Flüchtlingskrise in Europa.

Diese Entwicklung sei durch den Wahlkampf im vergangenen Jahr angespornt worden, wird Bodnar vom Onlineportal WirtualnaPolska.pl zitiert. Als Sieger ging damals die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hervor, ein strikter Gegner der europäischen Flüchtlingspolitik. Immer wieder hatten ihre Parteimitglieder auf das Sicherheitsrisiko durch Migranten verwiesen. Mit abfälligen Bemerkungen ernteten einige von ihnen sogar international Kritik.

Flüchtlinge würden Krankheiten und Parasiten einschleppen, behauptete Parteichef Jaroslaw Kaczynski. Selbst von Seiten der katholischen Kirche, der nachgesagt wird, der traditionelle Werte vertretenden PiS nahezustehen, wurden fremdenfeindliche Parolen laut. Ein Priester aus Bydgoszcz warnte Medienberichten zufolge vor einer Invasion islamistischer Kämpfer. Im katholisch geprägten Polen hat die Stimme der Kirche viel Gewicht.

"Leider werden wir gerade wieder öfter Zeugen davon, wie Ängste geschürt werden", sagt der in Breslau (Wroclaw) lebende syrische Soziologe Dr. Siad Abu Sale. Eine Angst- statt einer Flüchtlingswelle sei nach Polen gekommen, stellt der Wissenschaftler fest. Er sieht die Regierung in der Pflicht zu handeln.

Der Ansicht sind auch besorgte Bürger: Regierungs- und Kirchenvertreter sollten sich von den Angriffen distanzieren, fordern sie und starteten eine Unterschriftenaktion. Ein Schweigen der Obrigkeiten könnte als Legitimation oder gar Ermutigung verstanden werden, fürchten sie.

Doch Innenminister Mariusz Blaszczak tut die ausländerfeindlichen Angriffe als "Randerscheinung" ab. Oppositionspolitiker sind empört: "Die PiS ist schuld am Angriff in der Warschauer Tram", sagt Ryszard Petru von der liberalkonservativen Partei Nowoczesna im polnischen Radio. "Es kann nicht sein, dass nichts passiert, wenn es in Warschau Schlägereien gibt", sagt er. Als dagegen Polen in England attackiert wurden, sei eine Ministerdelegation nach London geflogen, bemängelt Petru und kreidet der PiS Unverhältnismäßigkeit an.

Regierungskritiker sehen dahinter politisches Kalkül. Die PiS-Partei flirte so mit den Nationalisten, sagt der polnische Publizist Rafal Kalukin dem Sender TOK.FM. Diese seien für die Nationalkonservativen inzwischen keine unmittelbare Konkurrenz. Das Nationalgefühl der Menschen in rechten Bewegungen decke sich in hohem Maße mit Emotionen der PiS-Anhänger, sagt Kalukin. "Deswegen ignoriert die PiS konsequent alle kontroversen Ereignisse, die uns empören und wird es auch weiterhin tun", prophezeit Kalukin.