Ein Putschversuch des Militärs hat in der Nacht auf Samstag die Türkei erschüttert. Mindestens 60 Menschen kamen bei gewaltsamen Auseinandersetzungen in der Hauptstadt Ankara und der Metropole Istanbul ums Leben. Präsident Recep Tayyip Erdogan, der seine Anhänger zum Widerstand aufgerufen hatte, traf in Istanbul ein und gab sich siegessicher. In Ankara wurde auch in der Früh noch gekämpft.

Erdogan im Badeort Marmaris

Erdogan hatte sich zum Zeitpunkt des Putsches im Badeort Marmaris an der Mittelmeerküste befunden. Nachdem die Armee am Freitagabend in der Hauptstadt die Übernahme der Macht verkündet hatte, wandte er sich über ein im Fernsehen ausgestrahltes Videotelefonat an die Bürger. Erdogan rief die Türken auf, die Ausgangssperre zu missachten und zu demonstrieren. Tausende Menschen folgten dem Aufruf. Auch in Wien demonstrierten in der Nacht 4.000 Erdogan-Anhänger. Sie zogen von der türkischen Botschaft über den Ring zum Stephansplatz.

Präsident jubelnd empfangen

Der Präsident wurde in der Nacht am Istanbuler Flughafen von jubelnden Anhängern empfangen. Er kündigte ein hartes Vorgehen gegen die Aufständischen an. Er wolle die Armee "säubern". Erneut machte er die Bewegung seines Intimfeindes Fethullah Gülen für den Putsch verantwortlich, die sich jedoch umgehend vom Aufstand distanzierte.

"Lage weitgehend unter Kontrolle"

Erdogan rief seine Anhänger auf, weiter auf den Straßen zu bleiben, bis sich die Lage normalisiert habe. Sein Ministerpräsident Binali Yildirim sagte, die Lage sei "weitgehend unter Kontrolle". Rund 754 Putschisten sind nach Angaben eines Regierungsvertreters festgenommen worden. Zuvor hatte es Berichte gegeben, dass sich in Istanbul Dutzende Soldaten von Polizisten entwaffnen ließen. Im Fernsehen war zu sehen, wie einige Soldaten an der Bosporus-Brücke von Polizisten abgeführt wurden. Auf der Brücke waren in der Nacht Panzer aufgefahren. Yildirim wies das Militär auch an, von Putschisten gekaperte Flugzeuge durch Kampfjets abschießen zu lassen.

Luftangriff nahe dem Präsidentenpalast

Die Putschisten erklärten, dass sie weiter "entschlossen" kämpfen wollen. Sie riefen die Bevölkerung in einem E-Mail auf, zu ihrer eigenen Sicherheit in Räumen zu bleiben. Tatsächlich wurde in der Hauptstadt Ankara weiter gekämpft. In der Nähe des Präsidentenpalastes gab es einen Luftangriff. Wie aus Erdogans Umfeld verlautete, griffen Kampfjets Panzer der Putschisten an, die vor dem Palast aufgefahren waren. CNN Türk meldete den Abschuss eines Militärhubschraubers. Dieser soll dem Bericht zufolge auf die ebenfalls in der Hauptstadt befindlichen Büros staatlichen Satellitenbetreibers Türksat gefeuert haben. Die Putschisten hatten zeitweise die Kontrolle über den Staatssender TRT und den Privatsender CNN Türk übernommen, dann aber wieder verloren.

Sondersitzung am Nachmittag

Auch die Angriffe auf das Parlamentsgebäude in Ankara hielten an. Dennoch soll am Samstagnachmittag eine Sondersitzung der Volksvertretung stattfinden. Parlamentspräsident Ismail Kahraman sagte, dass kein Abgeordneter bei dem Bombardement des Gebäudes in der Nacht zu Schaden gekommen sei. Auf TV-Bildern war zu sehen, dass das Dach des Parlaments beschädigt, aber nicht zerstört wurde.

Bis zu 150 Tote

Beim Putschversuch kamen nach einem Bericht des Senders NTV bereits mehr als 60 Menschen ums Leben. Die Grün-Abgeordnete Berivan Aslan geht von 100 bis 150 Toten aus. Laut Ministerpräsident Yildirim wurde auch ein General, der zu den Putschisten gehörte, getötet. Unklar blieb das Schicksal von Generalstabschef Hulusi Akar. Regierungskreisen zufolge wurde Umit Dundar kommissarisch zum Stabschef des Militärs ernannt.

USA und EU unterstützen Regierung

Die USA und die EU erklärten ihre Unterstützung für die demokratisch gewählte türkische Regierung und riefen ebenso wie UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon zur Ruhe auf. Aus der syrischen Hauptstadt Damaskus wurden Freudenschüsse gemeldet. Erdogans Regierung gehört zu den Gegnern von Syriens Präsident Bashar al-Assad. Etwa zwei Millionen syrische Flüchtlinge halten sich in der Türkei auf.

Flugverkehr unterbrochen

Während des Putsches war auch der Flugverkehr in Istanbul zum Erliegen gekommen. Mehrere Fluggesellschaften strichen ihre Türkei-Verbindungen. Niki (Air Berlin) strich einen Flug nach Antalya, der um 4.35 Uhr in Wien abheben sollte, die AUA einen für 5.15 Uhr geplanten Flug nach Dalaman. Auch die beiden Rückflüge, die um 10.40 Uhr (Niki, Antalya) und 11.10 Uhr (AUA, Dalaman) ankommen sollten, wurden gestrichen. Um 6.00 Uhr sollte der Flugbetrieb in Istanbul wieder aufgenommen werden. Laut Erdogan nahm die Fluggesellschaft Turkish Airlines ihre Flüge wieder auf.

Das türkische Militär hat in der Vergangenheit bereits mehrfach die Macht an sich gerissen, um die säkularen Grundlagen des Staates zu verteidigen. Erdogan wurde 2003 Ministerpräsident und ist seit 2014 Staatsoberhaupt der Türkei. Er strebt eine größere Machtfülle für das Präsidentenamt an.