Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die EU-Partner erneut eindringlich zu einer gemeinsamen Lösung der Flüchtlingskrise aufgerufen und nationale Alleingänge wie jenen Österreichs kritisiert. "Das ist genau das, wovor ich Angst habe: Wenn der eine seine Grenze definiert, muss der andere leiden. Das ist nicht mein Europa", sagte sie am Sonntagabend in der ARD-Talkshow von Anne Will.

"Meine verdammte Pflicht"

"Meine verdammte Pflicht und Schuldigkeit besteht darin, dass dieses Europa einen gemeinsamen Weg findet", betonte Merkel. Niemand solle glauben, dass durch einseitige Grenzschließungen die Probleme beseitigt werden könnten, sagte sie in Anspielung auf die von Österreich orchestrierte Politik auf der Balkanroute. Bei ihrer Politik leite sie der Gedanke, "dass Europa nicht kaputtgeht", unterstrich die deutsche Kanzlerin.

Merkel bekräftigte, dass sie keinen "Plan B" mit nationalen Lösungen wie Grenzschließungen habe. "Ich bin sehr optimistisch, dass uns der europäische Weg gelingt", sagte sei mit Blick auf den EU-Türkei-Gipfel am 7. März. Persönliche Konsequenzen für den Fall eines Scheiterns schloss sie aus. Sollte es nicht gelingen, werde sie weiter an einem Lösungsansatz arbeiten, der nächste EU-Gipfel sei nämlich am 17. und 18. März.

Fluchtursachen bekämpfen

Sie setze ihre gesamte Kraft auf den von ihr eingeschlagenen Weg einer europäischen Lösung sowie einer Bekämpfung der Fluchtursachen vor allem in Syrien. "Das alles mag manchen zu langsam gehen", sagte die Kanzlerin. Sie glaube aber daran, dass dies der einzige Weg zu einer nachhaltigen Lösung sei. "Ich glaube, wir sind besser dabei, als manch einer denkt, aber dass noch eine Wegstrecke vor uns liegt."

Zur Grenzschließung in Mazedonien sagte Merkel, die deutsche Verantwortung sei es, die Situation nicht zulasten eines Landes, sondern gemeinsam mit den EU-Partnern zu lösen. Sie setze auf die Verhandlungen mit der Türkei bei dem EU-Türkei-Gipfel in einer Woche.

Griechenland nicht im Stich lassen

Merkel sagte Griechenland weitere Unterstützung zu. "Dieses Land können wir doch jetzt nicht im Stich lassen." Sie sei in engem Kontakt mit dem griechischen Premier Alexis Tsipras, dem sie Hilfe aus Deutschland angeboten habe. "Glauben Sie ernsthaft, dass alle Eurostaaten im letzten Jahr bis zum Letzten gekämpft haben dafür, ... Griechenland im Euroraum zu halten, um anschließend, ein Jahr später, Griechenland ins Chaos zu stürzen?"

In dem einstündigen Fernsehinterview bat die innenpolitisch wegen ihrer Flüchtlingspolitik unter massivem Druck stehende Politikerin ihre Landsleute um Geduld. Europa zusammenzuhalten und Humanität zu zeigen sei ihre Priorität. Es gehe auch um Deutschlands Ansehen in der Welt. "Das ist eine ganz wichtige Phase unserer Geschichte." Neuerlich lehnte sie es ab, eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland zu nennen. Sie wolle nicht "jemandem ein X für ein U vormachen und sich anschließend revidieren müssen", sagte die Bundeskanzlerin.

"Supergefährlich"

Merkel kritisierte das Verhalten von Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel in der Flüchtlingskrise. Dessen Vorstoß zu einem Sozialprojekt für einheimische Bedürftige parallel zur Flüchtlingshilfe lehnte sie ab. Sie bezeichnete den von Gabriel zitierten Satz als "schlimm": "Für die macht ihr alles, für uns macht ihr nichts." Gabriel hatte im ZDF gesagt, dieser Satz, den er auf allen seinen Veranstaltungen höre, sei "supergefährlich".

Merkel sagte, einen solchen Satz solle man sich gar nicht erst zu eigen machen. Und weiter: "Ich finde, die SPD und der Vorsitzende Herr Gabriel machen sich damit klein", sagte Merkel. Die schwarz-rote Koalition habe vieles für Kinder, Eltern, Pensionisten und Kranke getan - Krankenhausreform, Kindergelderhöhung, Rente mit 63, Mütterpension. "So zu tun, als bräuchten wir eine riesenzusätzliche Anstrengung, sehe ich nicht." Union und SPD hätten bisher gemeinsam Verantwortung gut wahrgenommen und machten das auch Schritt für Schritt weiter.

Gefährdung der Demokratie?

Auf die Frage, ob sich angesichts der teils gewalttätigen Proteste und des offenen Hasses gegen Flüchtlinge eine demokratiegefährdende Situation wie in der Weimarer Republik entwickeln könnte, antwortete Merkel: "Das glaube ich nicht." Zwar müsse man entsprechende Warnungen ernst nehmen. Es sei aber ihre Aufgabe, "Probleme so zu lösen, dass wir zu unseren Werten stehen können".

Die jüngsten fremdenfeindlichen Übergriffe in Sachsen kritisierte die Kanzlerin scharf: "Das sind Bürgerinnen und Bürger, die etwas tun, was ich zutiefst ablehne." Wer Sorgen habe, könne friedlich demonstrieren. Artikel 1 des Grundgesetzes laute "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Das gelte für jeden in Deutschland - für Deutsche und Flüchtlinge. Übergriffe mit kriminellem Charakter verabscheue sei. Dennoch sei sie zu Gesprächen bereit. Voraussetzung sei die Fähigkeit und Bereitschaft des Gegenüber zum Zuhören. "Natürlich geben wir niemandem auf." (...) Ich mache für alle Menschen Politik."