Der Pflege-Regress wird abgeschafft. Dem Fünf-Parteien-Antrag trat auch die ÖVP noch bei, nachdem Maßnahmen zur Finanzierung darin verankert wurden. Nur die Neos gingen auf Distanz. Der entsprechende Beschluss über eine Verfassungsbestimmung wird bereits heute vom Nationalrat gefällt. Zur Kompensation ihrer Einnahmen-Ausfälle erhalten die Länder zumindest 100 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich.

Derzeit sieht das System so aus, dass nicht nur der größte Teil des Pflegegelds und der Pension für Pflege im Heim herangezogen wird, sondern auch allfälliges Privatvermögen der Betroffenen. Selbst bei Schenkungen kann noch einige Jahre etwa auf übertragene Wohnungen zugegriffen werden. Die Länder haben dabei unterschiedliche Regelungen. Nunmehr wird ihnen per Verfassungsgesetz dieser Regress untersagt.

Als eine der Maßnahmen zur Gegenfinanzierung haben sich SPÖ und ÖVP darauf verständigt, dass im Sinne der Betrugsbekämpfung ein Foto auf die E-Card kommt. Ebenfalls Einsparungen erhofft man sich dadurch, dass Pflegeheime künftig Arzneimittel direkt einkaufen können. Ein entsprechendes Gesetz soll bis Ende 2017 noch beschlossen werden.

Was die E-Card angeht, werden ab 2019 nur noch Karten mit Foto neu ausgegeben werden. Bis 2023 soll dann der Austausch abgeschlossen sein.

Pensionsmonate für pflegende Angehörige

Schließlich gibt es noch Verbesserungen für Angehörige, die behinderte Kinder und Angehörige pflegen. Die Möglichkeit, sich beitragsfrei selbst versichern zu lassen, wird ausgeweitet, dabei geht es vor allem um die Pensionsversicherung: Bisher war die beitragsfreie Anrechnung von Versicherungsmonaten für die Pflege von Anghörigen mit Anspruch auf Pflegegeld zumindest in Höhe der Stufe 3 rückwirkend nur ein Jahr möglich. Nun wird die Anrechnung von bis zu  zehn Jahren für Pflegezeiten, rückwirkend bis zum 1. Jänner 1988, verankert.

Diese Selbstversicherung ist möglich, wenn das Ausmaß der Erwerbstätigkeit verringert wird - dann wird damit die Beitragsgrundlage erhöht -, aber auch wenn vorher keine Versicherung bestanden hat.

Gratis Hepatitis-Impfung für Feuerwehrleute

Von der Koalition umgesetzt wird auch ein langjähriges Anliegen der Feuerwehren. Mitarbeitern der freiwilligen Feuerwehren wird wegen ihrer besonderen Gefährdung eine Gratis-Impfung für Hepatitis A und Hepatitis B zugestanden.

VP-Sozialsprecher August Wöginger zeigte sich gegenüber der APA davon angetan, dass eine schnelle und unbürokratische Regelung zur Abschaffung des Pflegeregresses gefunden worden sei. Gleichzeitig sei es auch gelungen, Maßnahmen zur Gegenfinanzierung zu fixieren. SP-Klubchef Andreas Schieder freute sich über einen guten Tag insbesondere für jene 40.000 Familien, die einen Pflegefall in der Familie hätten und zusätzlich zu diesem ohnehin schweren Schicksalsschlag von Enteignung durch den Pflegeregress betroffen seien.

Kosten: 150 bis 200 Millionen Euro

Das Ende des Kostenrückersatzes für Angehörige der pflegebedürftigen Person – dieser Regress ist länderweise unterschiedlich geregelt – kostet laut ÖVP-Berechnungen 150 bis 200 Millionen Euro.  Für die Österreicher bedeutet der heutige Beschluss jedenfalls einmal, dass sie keine Angst mehr vor Kostenrückersätzen haben müssen. Bisher griff die Behörde auf Sparbücher zu und ging mit ihren Ansprüchen in die Grundbücher.

Befürchtet wird umgekehrt, dass die Befreiung von der Regresspflicht die Nachfrage nach Heimplätzen ankurbeln und damit die Kosten insgesamt erhöhen könnte.

Wallner will Kosten voll ersetzt haben

Für den Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) ist völlig klar, dass die Finanzlücke, die den Ländern aus der Abschaffung des Pflegeregresses entsteht, "voll ersetzt" werden muss. "100 Millionen Euro sind dafür sicher zu wenig", sagte Wallner auf APA-Nachfrage. Die unmittelbare Wirkung für Vorarlberg bezifferte er mit acht bis zehn Millionen Euro.

"Die Länder müssen und werden darauf drängen, dass sämtliche Ausfälle ersetzt werden", machte der Landeschef deutlich, der morgen, Freitag, den Vorsitz der Landeshauptleutekonferenz übernehmen wird. Es gebe eine einfache Grundregel: "Wer anschafft, der zahlt auch", richtete Wallner seinen Appell an den Bund.

Die Gesamtkosten schätzte er weit höher als die im Nationalrat kolportierte Summe von 100 Millionen Euro. "Wenn ich in Vorarlberg von acht bis zehn Millionen ausgehe und wir machen 4,5 Prozent der österreichischen Bevölkerung aus, dann liegt die Finanzlücke eher bei 200 Millionen", rechnete der Landeshauptmann des westlichsten Bundeslandes vor. Dabei handle es sich nur um die kurzfristig entstehenden Kosten, "es gibt aber auch eine Folgedebatte, die wir führen müssen", wies Wallner auf die Folgekosten hin, die durch eine verstärkte Nachfrage nach Pflegeheimplätzen entstehen würden. Die derzeitige Finanzierung der Pflege werde dafür nicht ausreichen.

Per Verfassungsgesetz direkt in die Kompetenzen der Länder einzugreifen, bezeichnete Wallner als "etwas seltsamen Vorgang" und "keinen freundlichen Akt". Man hätte dasselbe laut Wallner auch erreichen können, indem man die Bundesstaatlichkeit und den Föderalismus respektiert - einfach indem man den Ländern die Aufgabe erteilt, ihre Landesgesetze zu ändern, eine Frist setzt und zusagt, die Kosten zu übernehmen.

Gemischte Reaktionen

Die vereinbarte Abschaffung des Pflegeregresses hat bei den NEOS Kritik ausgelöst. Lob kommt hingegen vom Team Stronach, auch die Seniorenorganisationen und die Gewerkschaft sind erfreut. Unterstützung kommt auch aus Oberösterreich und Wien.

Für NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker ist der Pflegeregress in seiner derzeitigen Form zwar "inakzeptabel", mit der "hastigen Einigung" von SPÖ und ÖVP auf eine Abschaffung ortet er aber eine Entwicklung in Richtung Wahlkampf 2008, als milliardenschwere Wahlzuckerl verteilt wurden. "Mit populistischen und kurzsichtigen Ansagen gewinnt man vielleicht ein paar Wählerstimmen", das gehe aber auf Kosten der Steuerzahler. "Denn woher die zusätzlichen 100 Millionen Euro kommen sollen, kann und will keiner der Regierungsvertreter sagen. Ein Foto auf der E-Card wird jedenfalls für eine umfassende Gegenfinanzierung kaum ausreichen", meinte Loacker, der überzeugt ist, dass die Abschaffung des Pflegeregresses letztlich weit mehr kosten wird.

FPÖ-Behindertensprecher Norbert Hofer sprach hingegen von einem "großen Erfolg" für die FPÖ und meinte, dass die pflegebedürftigen Menschen und ihre Angehörigen nun aufatmen könnten. Durchgesetz habe sich die FPÖ nicht nur beim Pflegeregress sondern auch beim Foto auf der E-Card, meinte der Dritte Nationalratspräsident.

Team Stronach-Gesundheitssprecherin Ulla Weigerstorfer freute sich ebenfalls, dass mit der Abschaffung des Pflegeregresses auch das Foto auf der E-Card beschlossen werden soll. Damit werde ein Forderung des Team Stronach umgesetzt. Im Mai sei ein Antrag ihrer Partei dafür von SPÖ und ÖVP noch abgelehnt worden, jetzt im Wahlkampf werde das Foto doch beschlossen, so Weigerstorfer.

"Längst überfällig" war die Abschaffung des Pflegeregresses für den stellvertretenden Vorsitzenden der Gewerkschaft vida, Willibald Steinkellner, der meinte: "Österreich wurde heute ein weiteres Stück sozial gerechter."

Euphorisch reagierten die Seniorenorganisationen auf die Abschaffung des Pflegeregresses. "Österreich ist Pflegeregress-frei", jubelte der Präsident des SPÖ-Pensionistenverbands, Karl Blecha. "Höchst erfreut" zeigte sich die Präsidentin des ÖVP-Seniorenbundes, Ingrid Korosec, über den "richtungsweisenden Beschluss, der voll im Sinne aller Betroffenen" sei. Die verpflichtende Einführung eines Fotos auf der E-Card ist für Korosec "ein wichtiges Werkzeug im Kampf gegen Sozialmissbrauch".