Sie ist reich, schön, Heimat multinationaler Großkonzerne à la Nestlé oder Swatch und avancierte für Österreichs politische Rechte zum Vorbild für Europapolitik: die Schweiz. Wirft man einen Blick auf wirtschaftliche Kennzahlen, scheinen die Eidgenossen tatsächlich nahezu unversehrt aus der Wirtschaftskrise hervorgegangen zu sein. Für Marcus Scheiblecker vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) ist dies sogar "ein kleines Mirakel" - und für politische Heilsversprecher der Beweis, dass in Österreich Milch und Honig fließen würden, wäre man doch dem Beispiel der Eidgenossen gefolgt und der Europäischen Union nicht beigetreten.

"Unmöglich", meint Wirtschaftsexperte Franz Schellhorn. Der Alleingang der Schweizer, die 1992 in einer Volksabstimmung mit dem Nein zum Europäischen Wirtschaftsraum die Beitrittsgespräche mit der EU beendet haben, hätte für Österreich in einer Katastrophe geendet. "Weil die Voraussetzungen vor dem Beitritt völlig andere waren". Erstens sei die Schweizer Finanzwirtschaft damals weitaus stärker gewesen, als dies in Österreich der Fall war und immer noch ist. "Außerdem verfügt die Schweiz im Gegensatz zu Österreich über jede Menge multinationale Großkonzerne, die in die ganze Welt exportieren", fügt Schellhorn hinzu. Scheiblecker bläst, was die nicht vorhandenen Gemeinsamkeiten der Alpenrepubliken betrifft, ins gleiche Horn: "In der Schweiz haben immer schon andere Strukturen und Voraussetzungen geherrscht. Österreich hätte den Schweizer Weg auf keinen Fall gehen können". Im Gegensatz zur österreichischen Industrie liefere die Schweiz, die durch Bankgeheimnis und niedrigere Steuern eine Oase der Wettbewerbsfähigkeit ist, fertige Produkte aus und ist nicht Teil einer Produktionskette in Europa. Zudem werden die Waren - nicht wie in Österreich - zu weiten Teilen in den außereuropäischen Raum exportiert. Letztlich habe Österreich überdurchschnittlich stark vom Beitritt und vor allem von der Osterweiterung im Jahr 2004 profitiert, meint Schellhorn. "Ohne den Beitritt hätte Österreich auf lange Sicht seine Wettbewerbsfähigkeit verloren".

Im deutschen Windschatten

Denn wirtschaftlich unabhängig war Österreich zu keiner Zeit, sind sich beide Experten einig. "Für Österreich war Deutschland immer das Maß aller Dinge. Wo Deutschland dazugehörte, mussten wir auch hin", erklärt Scheiblecker. So war der Schilling stets an die Deutsche Mark gebunden, was laut Schellhorn der Schlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg und der Schutz vor Spekulationsattacken gegen die Währung war. Gäbe es den Schilling heute noch, würde er Angriffen von Spekulanten wohl nicht standhalten, prophezeit er.

Aber auch der Schweizer Franken hat mit großen Problemen zu kämpfen. Zwar muss sich die Währung des Eldorados für Steuerhinterzieher nicht vor Börsenhaien in Acht nehmen, wurde laut Schellhorn aber "ein Opfer des eigenen Erfolgs". Als attraktiver Zufluchtsort in der Wirtschaftskrise wollte alle Welt Schweizer Franken oder Gold kaufen - was in den Jahren von 2008 bis 2012 eine massive Aufwertung der Währung mit sich brachte und damit die Schweizer Exportwirtschaft vor ein veritables Problem stellte. Wie früher der Schilling an die Mark wurde daraufhin der Franke an den Euro gebunden und konstant auf einem Wechselkurs von etwa 1,20 Euro gehalten. "Das kostet die Schweizer Nationalbank aber unglaublich viel Geld", meint Schellhorn. Neben dem durch die Schweizer Erfolgsgeschichte entstandenen "Migrationsdruck" laut dem Leiter der Denkfabrik Agenda Austria das größte Problem unseres Gastgeberpartners der Euro 2008.

Schweiz kopiert EU-Gesetze

Weil das Land, in dem ohnehin jeder vierte Bürger keinen Schweizer Pass besitzt, zum Zielort für Arbeitsmigration wurde, ist blanker Nationalismus auf dem Vormarsch. Der am 9. Feber diesen Jahres bekanntlich in jenem Referendum gipfelte, in dem die Mehrheit der Schweizer für eine Begrenzung der Zuwanderung gestimmt haben. Pures Gift für die engen Beziehungen mit der EU. "Schließlich ist die Schweiz einem EU-Mitgliedsstaat beinahe gleichgestellt, profitiert sehr stark von den Handelsabkommen mit der Union", meint Scheiblecker. Im Gegenzug für Zoll- und andere Freiheiten möchte die EU nämlich auch etwas zurückbekommen. Der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, schäumte: "Alle Vorteile des Binnenmarktes zu nutzen und gleichzeitig die Freizügigkeit abzuschaffen, geht nicht". So entgeht die Schweiz zwar einem Dasein als Nettozahler, schickt aber dennoch Fördergelder in schwache EU-Regionen und ist vor allem legislativ von der EU abhängig. Jeder zehnte Gesetzesbeschluss des Schweizer Bundesrats seit 1990 war eine Vollanpassung an EU-Richtlinien. Insgesamt deckt sich ein Drittel der Gesetzesänderung mit europäischem Recht - bei dem man als Nicht-Mitglied jedoch keinerlei Mitspracherecht hat. Am Ende des Tages muss sich die Schweiz, will sie ihre Vorteile genießen, nach der EU richten. "Sie ist also keineswegs eine Insel der Glückseligen", sagt Scheiblecker. Und das wäre das wirtschaftlich viel weniger unabhängige Österreich schon lange nicht.