Als am 13. März des Vorjahres der Argentinier Jorge Mario Bergoglio zum Papst gewählt wurde, war das eine Weltsensation. Ein Jahr danach scheint die Begeisterung für den ersten Pontifex aus Südamerika ungebrochen. Dabei ist seine Botschaft alles andere als bequem: Raus, ihr Priester und Gläubige, aus Sakristeien und euren gemütlichen Gewissheiten, fordert Franziskus. Seit über einem halben Jahrhundert hat kein Papst so vehement auf Reformen gedrängt. Konkrete Maßnahmen hat er bis jetzt dagegen nur wenige gesetzt.

Hat Franziskus seiner Kirche dennoch bereits seinen Stempel aufgedrückt? Oder hat sein Amt den Papst verändert, ehe er es ändern konnte?

PRO

"Es droht die Gefahr des Scheiterns"

Helmut Schüller , Vorsitzender der Pfarrerinitiative: Franziskus hat durch seine persönliche Haltung auf jeden Fall die Wahrnehmung von Kirche verändert. Er hat Veränderungen angekündigt, doch das System und den Machtapparat der katholischen Kirche hat er bis jetzt noch nicht verändert. Das muss Franziskus noch tun. Sonst hängt alles in der Luft und es droht die Gefahr des Scheiterns. Meines Erachtens wird viel davon abhängen, ob Franziskus in seiner Umgebung Leute findet, die ihm dabei helfen, die von ihm geforderten Reformen umzusetzen. Und viel wird natürlich davon abhängen, wie stark die innerkirchliche Gegenwehr ist.

"Dieser Papst hat Mut"

Regina Strassegger, Filmemacherin: Franziskus hat Courage. Er scheut sich nicht, die Reform des verknöcherten Machtapparats der katholischen Kirche, der römischen Kurie anzupacken. Auch den neuralgischen Punkten der Kirche begegnet er offensiv. Schonungslos hat er die Missbrauchsfälle in seiner Kirche angesprochen. Was mir persönlich besonders wichtig ist: Als Südamerikaner weiß er um die ungerechte Verteilung von Reichtum in der Welt. Franziskus weiß, was Armut bedeutet, und kennt die großen Herausforderungen, die sich daraus für uns alle ergeben. Sein persönlich bescheidener Stil hat Symbolkraft. Franziskus will zeigen, dass er bei den Armen ist.

"Herzlicher Dialog der Religionen"

Carla Amina Baghajati, Sprecherin Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich: Der Name "Franziskus" als Programm - das war auch eine Hoffnung auf muslimischer Seite. Schließlich steht Franz von Assisi für Dialog zwischen den Religionen. In einer Zeit der aggressiven Kreuzzugsrhetorik sprach er voller Respekt vom Islam, etwa von der Spiritualität des täglich fünfmaligen Gebets der Muslime. Die Erwartung, für den herzlichen Dialog der Religionen einzutreten, hat Papst Franziskus erfüllt. Sein Besuch bei den Flüchtlingen auf Lampedusa setzte ein Zeichen für soziale Gerechtigkeit. Muslime als "unsere Brüder" am Ende des Ramadans anzusprechen und zu Frieden aufzurufen, kommt an.

"Ein anderer Ton wurde angeschlagen"

Michael Bünker, Bischof der evangelischen Kirche: Aus evangelischer Sicht und in Richtung Ökumene gedacht war das erste Apostolische Schreiben von Papst Franziskus, "Evangelii gaudium" (Freude des Evangeliums), positiv. Weil ein anderer Ton angeschlagen wurde und interessant war, was er darin nicht gesagt hat. Wenn es um die gemeinsame Freude am Evangelium geht, so ist das für uns ein sehr anschlussfähiges Thema. Ich sehe es als Signal der Offenheit und Dialogbereitschaft, das zu neuen Ergebnissen führen kann. Neue Akzente sehe ich auch in der Diktion gegenüber unserem Jubiläum 500 Jahre Reformation 2017. Generell bemerke ich eine Öffnung zu anderen Kirchen hin.

"Er lebt eine Nähe zu den Menschen"

Cecily Corti, Vinzi-Rast-Gründerin, Wien. Papst Franziskus hat vielen Menschen die Kirche wieder nahegebracht, die vor ihm mit der Organisation nichts mehr zu tun haben wollten. Er findet Worte, die die Menschen berühren, und schafft damit Verständnis für eine Kirche, die Relevanz in der Welt hat. Vor allem vermittelt er eine Kirche, die nicht urteilt und richtet. Er lebt eine Nähe zu den Menschen, die wir nicht sehen wollen, die an den Rand unserer Gesellschaft gedrängt werden. Für mich spricht er von einem Gott, der nicht so sehr angebetet, vielmehr gelebt werden will. Das erreicht mich.

"Er hat das Papstamt nah und freundlich gemacht"

Helene Karmasin, Motivforscherin: Franziskus ist ein bemerkenswerter Kommunikator. Er steht für Werte, die wir derzeit hoch schätzen: Bescheidenheit der Amtsführung, Zugänglichkeit, Zuwendung zu den Schwachen, Kampf gegen ein innerkirchliches autoritatives System und er übersetzt das prägnant in Zeichen: durch seinen Namen, durch seine Kleidung, durch seine Art zu kommunizieren, durch die vielen Geschichten, die sich an ihn knüpfen. Er tut dies jedoch nicht geplant, sondern fühlbar authentisch. Er erstaunt, weil er ein Amt, das mit hoher Macht, mit Sakralität und auch Distanz verknüpft ist, nah und freundlich gemacht hat und dies, ohne dass er bisher irgendetwas an einer strikten theologischen Position geändert hat.

"Dieser neue Geist in der Kirche ist einladend"

Arnold Mettnitzer, Theologe und Psychotherapeut: Ja. Papst Franziskus hat die Kirche verändert. Alle Institutionen mit langer Geschichte haben verkrustete Strukturen. Da muss ein neuer Geist her. Der ist nun gegeben. Das ist einladend. Fraglich ist, ob der Geist stark genug ist, damit im Zentrum aufgemischt wird. Das hängt ja nicht nur von Franziskus alleine ab. Ich bin sehr zuversichtlich, dass er den langen Atem hat, in diesem Geiste weiterzumachen. Pietro Parolin war ein Studienkollege von mir in Rom. Er wurde in erster Linie Priester, weil er die Menschen liebt. Dass ihn der Papst zum zweiten Mann in der Kirche gemacht hat, ist Zeichen dafür, dass er sich für die Kirche ein menschliches Antlitz wünscht.

CONTRA

"Die Kirche bleibt veränderungsresistent"

Niko Alm, Kirchenkritiker: Die Mitglieder der katholischen Kirche müssen mit dem Katechismus selbst fertig werden. Die Moralvorstellungen werden von ihren Mitgliedern ohnehin weitgehend ignoriert. Religion ist Privatsache. Als Konfessionsfreier ist es mir daher auch egal, ob ein neuer Papst die Kirche ändert oder nicht. Es gibt jedoch eine Ausnahme: jene Bereiche, die auch in den säkularen Staat einwirken. Und hier sind keine Änderungen in Sicht: Die Kirche hält an ihren Sonderrechten fest. Es gibt keinen neuen Beitrag zur Aufklärung der vielen Fälle sexueller Misshandlungen. Von außen betrachtet hat Papst Franziskus also nichts zu einer Veränderung beigetragen. Die katholische Kirche bleibt veränderungsresistent.