Gut zehn Jahre nach einigen marktwirtschaftlichen Experimenten im kommunistischen Nordkorea gibt es Anzeichen für neue Reformversuche. Der junge Machthaber Kim Jong-un scheint sich vor allem den Agrarbereich vorzunehmen. Um mehr Anreize zu schaffen, sollen die Kollektivbetriebe einen größeren Anteil der Ernte mit offizieller Erlaubnis einbehalten und künftig selber verkaufen dürfen. Darauf deuten sich häufende Berichte aus Südkorea hin. Mit den Maßnahmen in der Landwirtschaft hoffe die Führung vor allem, die Produktivität steigern zu können. Doch Experten reagieren skeptisch. Ohne eine weitere Öffnung nach außen und umfassende Eigentumsrechte für die Menschen könne man von keinen wirklichen Reformen sprechen.

Millionen haben nicht genug zu essen

In einem Länderbericht im Juni hatten die Vereinten Nationen noch festgestellt, dass rund zwei Drittel der 24,1 Millionen Nordkoreaner nicht genug zu essen hätten. Für viele hat sich seitdem die Lage durch verheerende Sommerfluten verschärft. Mit wirtschaftlichen Reformen könnte sich Kim Jong-un, der erst im Dezember die Macht von seinem gestorbenen Vater Kim Jong-il übernommen hatte, profilieren, glauben Beobachter. Doch Reformen würden in einem geschlossenen Staat wie Nordkorea auch die Gefahr der Instabilität in sich bergen.

Zuletzt berichtete die in Seoul von nordkoreanischen Flüchtlingen herausgegebene Online-Zeitung "DailyNK", dass die Regierung den Agrarbetrieben künftig mindestens 30 Prozent der Ernte zuteilen wolle. Auch jeden Überschuss könnten sie verkaufen. Bisher mussten die Betriebe die Ernte, abgesehen von einem Anteil für die Familien, an das Militär und staatliche Organisationen abliefern. Zudem sollen Arbeiter in kleinen und mittelgroßen Unternehmen keine Bezugsscheine mehr erhalten, sondern gänzlich in Geld entlohnt werden, hieß es.

Einführung ohne große Ankündigung?

"Die Behörden sagten uns, dass die Maßnahmen zur Verbesserung des Wirtschaftsmanagements, auch als 6.28-Politik bekannt, am 1. Oktober in Kraft treten", zitierte "DailyNK" einen Informanten in Nordkorea. In den vergangenen Wochen seien die Menschen über die am 28. Juni eingeführten Maßnahmen unterrichtet worden. Eine offizielle Verlautbarung gab es bisher nicht. Nähere Aufschlüsse über die Absichten des Regimes hatten sich Beobachter von der Sitzung des Parlaments in Nordkorea am Dienstag erwartet. Doch die Staatsmedien berichteten nur über die Verlängerung der Schulpflicht. Auf Wirtschaftsreformen gab es zunächst keine Hinweise. Schon wird spekuliert, dass die Maßnahmen ohne große Vorankündigung in Kraft treten könnten, da dass Regime sonst Fehler durch die eigene Misswirtschaft eingestehen müsste.

Schon 2002 hatte es Vorboten einer Ausrichtung auf ein Marktsystem gegeben: Die Preise für Hauptnahrungsmittel wie Reis wurden angehoben, die Löhne um ein Vielfaches erhöht und eine nach Art der Arbeit gestaffelte Bezahlung eingeführt. Doch drei Jahre später wurden die Reformen größtenteils wieder zurückgenommen.

Die jetzt anscheinend geplanten Erneuerungen wären eine Fortsetzung der Reformversuche von 2002, sagt der Experte Yang Unchul vom privaten Sejong-Institut in Südkorea. Er bleibe aber skeptisch, ob es große Veränderungen für die Bevölkerung geben werde. Die landwirtschaftliche Produktion könnte um einiges gesteigert werden. Doch "das größte Problem ist der Mangel an Düngemitteln". Zudem würden schon jetzt die Betriebe ohnehin einen Teil der Ernte vor den Behörden verbergen. "Diesen Teil verkaufen sie auf den Märkten."