Vorsichtige Bereitschaft zu Verhandlungen über den Rücktritt des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad signalisierte am Dienstag Syriens Vizepremier Kadri Jamil. "Während eines Verhandlungsprozesses kann man über alles reden, und wir sind sogar bereit, über diese Frage zu sprechen", erklärte er nach einem Treffen mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow in Moskau. Einen Rücktritt Assads jedoch zur Bedingung für Verhandlungen zu machen würde bedeuten, dass diese nicht stattfinden würden.

Nach Angaben diplomatischer Kreise war Jamil nach Moskau gereist, um dort über mögliche vorgezogene Neuwahlen unter internationaler Aufsicht in Syrien zu sprechen. Dort sollten sich alle zur Wahl stellen können, die dies wünschten - inklusive Assad. Allerdings würden sowohl Washington als auch die europäischen Staaten eine Teilnahme Assads ablehnen, heiß es aus derselben Quelle.

Militärintervention angedroht

Sowohl die USA als auch Frankreich hatten am Montag ihren Aufruf zu einem Rücktritt des syrischen Präsidenten wiederholt. US-Präsident Barack Obama drohte Syrien zudem mit einer Militärintervention, sollten in dem Konflikt Chemiewaffen zum Einsatz kommen. Er habe noch keine solche Intervention angeordnet, doch würde der Einsatz chemischer Waffen "meine Kalkulationen entscheidend verändern", sagte Obama am Montag in Washington.

Bereits mit der Vorbereitung eines Chemie- oder Biowaffeneinsatzes würde die "rote Linie" überschritten, sagte Obama, der erstmals direkt mit einer Intervention drohte. "Wir können uns keine Situation erlauben, in der chemische oder biologische Waffen in die Hände der falschen Leute fallen."

Der syrische Vizepremier wies diese Drohung am Dienstag in Moskau entschieden zurück. Es handle sich um "Propaganda", die im Zusammenhang mit der US-Präsidentenwahl im November stehe. Berichte über syrische Chemiewaffen seien lediglich ein Vorwand des Westens für eine militärische Invasion. "Der Westen sucht nach einer Ausrede, um sich direkt in die Angelegenheiten unseres Landes einzumischen", so Jamil. Ein militärisches Eingreifen des Auslands würde den Konflikt zudem über die Grenzen des Landes hinaustragen, warnte er.

Auch Russland stellte sich erneut demonstrativ hinter Syrien und warnte die USA indirekt vor einem militärischen Alleingang in Syrien. Moskau lege viel Wert darauf, dass internationales Recht und die Charta der Vereinten Nationen nicht verletzt würden, sagte Lawrow am Dienstag bei einem Treffen mit dem chinesischen Staatsrat Dai Bingguo, wie die Agentur Itar-Tass berichtete. "Das ist der einzige wahre Weg in der heutigen Situation", so der russische Diplomat. "Das ist überaus wichtig."

Syrien soll über Nervengas und biologische Kampfstoffe verfügen. Die Führung in Damaskus hatte Ende Juli erklärt, Chemiewaffen im Fall eines Angriffs aus dem Ausland einzusetzen, nicht aber gegen die eigene Bevölkerung.

Die Freie Syrische Armee (FSA) meldete am Dienstag, mehr als 60 Prozent der Wirtschaftsmetropole Aleppo zu kontrollieren. Das Regime in Damaskus dementierte diese Angaben und verkündete stattdessen ein Vorrücken der Armee. Auch einen Vorort der Hauptstadt Damaskus sollen Regierungstruppen gestürmt haben, wie Einwohner und Oppositionelle berichteten. Die Soldaten hätten Häuser in Brand gesteckt und sich dann schrittweise zurückgezogen. Eine Bestätigung der Angaben aus unabhängiger Quelle war nicht möglich.

In Paris erklärte der Präsident des oppositionellen syrischen Nationalrates (SNC), Abdul Basset Sida (Abdulbaset Sieda), der SNC "prüfe" gegenwärtig die Bildung einer "Übergangsregierung". "Es handelt sich dabei um einen Prozess, der sehr viel Zeit benötigt", sagte Sida gegenüber Journalisten, "man darf nicht zu schnell voranschreiten, aber der SNC bemüht sich, möglichst schnell ans Ziel zu gelangen."

Auch am Dienstag griffen die Kämpfe in Syrien erneut auf den Libanon über. Bei Auseinandersetzungen in der Hafenstadt Tripoli zwischen sunnitischen Muslimen und Alawiten wurden nach Angaben aus Sicherheitskreisen zwei Menschen getötet und mehr als 60 verletzt. Die Spannungen zwischen den Religionsgruppen in Tripoli sind durch den Konflikt im Nachbarland eskaliert. Dort haben sich vor allem Sunniten gegen Assad erhoben, der wie sein Machtzirkel zur Gruppe der Alawiten gehört.

Zwei ausländische Journalisten kamen in Syrien ums Leben. In der umkämpften Metropole Aleppo wurde eine japanische Journalistin getötet, nach Medienberichten die preisgekrönte Mika Yamamoto (45), die zuvor aus Afghanistan und dem Irak berichtet hatte. Im selben Gefecht fielen nach Angaben von Assad-Gegnern ein türkischer Kameramann und ein palästinensischer Reporter Milizionären des Regimes in die Hände. Der Türke sei auf der Straße mit einen Kopfschuss getötet worden, der Palästinenser sei zum Verhör gebracht worden. Eine Bestätigung von unabhängiger Seite lag zunächst nicht vor.