Nadeschda Tolokonnikowa (22). Maria Aljochina (24). Jekaterina Samuzewitsch (30). Die Schuldsprüche wegen "Rowdytums aus religiösem Hass" sind gefällt - die Musikerinnen der russischen Band "Pussy Riot" müssen zwei Jahre im Gefängnis verbringen. Was die geplante Urteilsanfechtung in diesem Fall noch bringen mag, sei dahin gestellt.

Die "unheilige Allianz"

Im Februar dieses Jahres prangerten sie mit einem "Punkgebet" in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale die "unheilige Allianz" von Kirche und Kreml an. Es gibt kaum Gegenstimmen, die nun im Schuldspruch kein politisches Urteil sehen. In den Augen des russischen Präsidenten Wladimir Putin waren drei junge Damen, die sich selbstständig Gedanken über die Politik und ihre Zukunft machen wollten, wohl nicht vertretbar. Vor allem ging es darum, Exempel zu statuieren. Es wurde aus dem Weg geräumt, was den Weg zur echten Demokratie und Freiheit im flächenmäßig größten Staat der Erde säumen könnte. Eine Mädchen-Punkband, in ihrem Erscheinungsbild und in ihren Botschaften zwar bewusst provokant und störrisch bis zur Selbstgefährdung. Aber tatsächlich von der Sorte Terrorist, die das ganze Staatsgefüge zersetzen kann und will?

"Mutter Gottes, verjag' Putin!", "Der Patriarch glaubt an Putin, der Schweinehund sollte lieber an Gott glauben!" oder "Der KGB-Chef ist Euer oberster Heiliger, er steckt die Demonstranten ins Gefängnis. Um den Heiligsten nicht zu betrüben, müssen Frauen gebären und lieben": Dass solche Texte nicht unbedingt Anklang finden würden - sowohl bei den russisch-orthodoxen Christen als auch beim Angesprochenen selbst - war klar. Letztlich war der Schuldspruch neben dem System Putin auch einem anderen Umstand geschuldet: Bei einem milderen Urteil wäre Zores zwischen Kirche und Staat vorprogrammiert gewesen - doch auch damit sollte ein Putin umgehen können. Lässt man die Kirche im Dorf oder im Kreml? Die Mehrzahl der Russen hält laut Umfragen Haftstrafen für überzogen - das harte Urteil ist von enormer Bedeutung: für Russland selbst und eine Annäherung an den Westen. Wird man seine Empörung nun Putin auch spüren lassen - oder wird der rote Teppich weiterhin ausgerollt, auch in und von Österreich?

Der weggesperrte russische Oppositionelle Michail Chodorkowski gab vor dem Schuldspruch zu Protokoll: Das Gericht werde "nur ein Urteil bestätigen, das anderswo aufgeschrieben wurde - in der Staatsanwaltschaft oder irgendeiner anderen Instanz". Und: "Ziel ist es, Kritikern des Regimes eine Lektion zu erteilen". Ob Putins Kalkül, auf diese Weise dauerhaft die Kontrolle über ein riesiges Land und 143 Millionen Einwohner halten zu können, aufgehen wird? Es ist fraglich, denn auch im eigenen Volk verblasste sein großer roter Stern. Selbst das System Putin wurde durchlässig. Er sieht sich als Führer einer Supermacht mit dahin rostenden oder aufblasbaren Panzern und Raketen, spricht sich Allmacht zu, die er auch durch Toleranz und souveränen Umgang mit Kritik beweisen könnte. Stattdessen setzte er auf die Fortführung seiner Politik im Gerichtssaal.

Putins Sowjet-Nostalgie

Putin scheint nicht nur mit seiner Inszenierung als stahlharter Macher viel an Kontinuität gelegen zu sein. Gnade steht ihm nicht zu Gesicht. Er installierte sich in mittlerweile drei Amtsperioden als "Zar für das 21. Jahrhundert" - und wünschte sich unlängst in einem Interview offen in (wenigstens ihn) selig machende UdSSR-Zeiten zurück. Den Untergang des einst vereinten "Sowjetvolks" mahnte er, selbst Ex-KGB-Offizier, als "größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts" an. Am politischen Weltbild bleiben also kaum Zweifel übrig. Ebenso wenig am Selbstbild: Putin, der sich in der Taiga reitend, nach Schätzen tauchend und mit dem Gewehr in der Hand inszeniert. Ein Mann, dem nur Wahlsiege und die eigene Selbstüberhöhung ein paar Tränen abringen konnten.

Dass er mit solchen Schau-Urteilen in seinem Geburtsjahr 1952 stecken geblieben scheint, dürfte Teil dieses schockgefrorenen Weltbildes sein. Alleine: Auch er wird Protest und Opposition kaum aufhalten können - er verlängerte nur seine eigene Frist.