Ein 19-jähriger Wiener wurde kürzlich nicht rechtskräftig verurteilt, weil er einen Zwölfjährigen zu einem Anschlag angestiftet haben soll. Wie kann
so etwas passieren?

Julia Ebner: Oft beginnt es mit einer Identitätssuche. Extremisten versuchen, junge Männer einzufangen, die sich nicht sicher sind, wo sie hingehören. Die islamistische Seite stellt etwa die Frage: Kannst du als Muslim gleichzeitig Österreicher sein? Es wird das Gefühl geschürt, man sei nicht mehr willkommen, seine Kultur auszuleben. Die gleiche Strategie wird aber auch auf der anderen Seite angewandt: Rechtsextreme versuchen ebenfalls, die Stimmung zu verbreiten, man sei fremd im eigenen Land, bedroht von einer anderen Kultur.

Was ist gefährlicher, der Rechtsextremismus oder der Islamismus?

Ebner: Sie bedingen sich gegenseitig. Beide zeigen ähnliche Versionen der Zukunft. Beide sprechen von einem bevorstehenden Bürgerkrieg zwischen Muslimen und der westlichen Welt. Was den einen stärkt, hilft dem anderen. In einer Wiener Moschee wurden Kinder in Militäruniformen
gesteckt. Passt das in die Propaganda vom bevorstehenden Bürgerkrieg?
Das ist beispielhaft für die apokalyptische Idee von Islamisten, dass wir vor einem unvermeidbaren Konflikt stehen. Sowohl auf islamistischer als auch auf rechtsextremer Seite gibt es immer wieder Fälle von militärischem oder quasi-militärischem Training, das in Vorbereitung auf den sogenannten Tag X stattfindet.

Welche Methoden werden eingesetzt, um junge Menschen zu
rekrutieren?

Ebner: Sowohl Rechtsextreme als auch Islamisten liefern einfache Bilder
und Lösungen. Die Welt wird in Gut und Böse eingeteilt. Dabei setzen sie stark auf popkulturelle Anspielungen. Attentäter werden zu Helden in Computerspielen gemacht. Einer kämpft gegen den Rest der Welt.

Welche Rolle spielen Plattformen wie Facebook oder Youtube dabei für die Extremisten?

Ebner: Beide Seiten sind leider besonders gut darin, die Schwachstellen der sozialen Medien auszunutzen: Das bedeutet, gezielt die Algorithmen und Filterblasen-Effekte so zu verwenden, dass ihre Propaganda die Zielgruppe erreicht. Hier sind die Zielgruppe vor allem junge Menschen. Obwohl Facebook und Youtube bzw. Google hier gerade in den vergangenen Monaten viel gegen Missbrauch getan haben, gibt es immer noch große Baustellen.

Wird öfter online rekrutiert als offline?

Ebner: In den meisten Fällen kann man eine Kombination aus Online- und Offline-Radikalisierung beobachten. Sowohl bei Rechtsextremen als auch bei Islamisten findet die erste Kontaktaufnahmezunehmend online statt. Das Ausmaß variiert aber stark von Organisation zu Organisation.

Sie haben verdeckt im rechtsextremen und islamistischen Milieu recherchiert. War es schwierig, da reinzukommen?

Ebner: Es war eigentlich überraschend, wie schnell ich aufgenommen wurde. Viele waren offen und freundlich. Sie wollen einen ja für ihre Sache gewinnen. Gerade im Netz war es erstaunlich, welch tiefe Einblicke man bekommt.

Läuft man Gefahr, zu tief in diese Szene hineingezogen zu werden?

Ebner: Ich habe die Wut über gewisse Dinge verstanden. Aber die Konsequenzen, die die Extremisten daraus ziehen, kann ich nicht mittragen. Wenn von der Ausrottung der anderen Seite gesprochen wurde, bin ich zurückgeschreckt.

Was kann getan werden, damit vor allem junge Menschen nicht mehr in die Fänge von Extremisten geraten?

Ebner: Da muss vor allem im Schulunterricht viel passieren. Im Bereich Identität etwa: Was bedeutet es, Österreicher zu sein? Es muss aufgeklärt werden, wie Extremisten Falschinformationen verbreiten. Nicht zuletzt muss ihren Erzählungen etwas entgegengesetzt werden. Das ist möglich: Schwarz-Weiß-Geschichten sind doch auf Dauer langweilig. Sie ignorieren eine ganze Farbpalette und bieten keine Lösungen.