Ein Bub (9) in Deutschland, der jahrelang von seiner Mutter an Pädophile „vermietet“ wurde, 13 Kinder, die in den USA von ihren Eltern über Jahre hinweg misshandelt und gefesselt wurden – solche Fälle zeigen eine traurige Wirklichkeit brutal auf: Viele Kinder haben nicht das Glück, in einer fürsorglichen Familie aufzuwachsen, die ihnen einen guten Start ins Leben ermöglicht. Im Gegenteil.

Auch in Österreich stellen soziale Ungleichheit, Armut und dadurch bedingte psychische und physische Krankheit ein zentrales Problem dar: 300.000 Kinder leben aktuell in Armut oder sind armutsgefährdet. Zahlreiche Organisationen kämpfen für sie um bessere Lebensbedingungen, darunter SOS Kinderdorf, das mit einer klaren Forderung ins Jahr 2018 gestartet ist: Hilfe für Kinder, die es ohnehin schwer hatten, darf nicht mit dem 18. Geburtstag enden, wie es derzeit der Fall ist.

"Der allerletzte Ausweg"

Susanne Maurer-Aldrian, Leiterin von SOS Kinderdorf Österreich-Süd, erklärt, warum dieses Anliegen so wichtig ist: „Man muss sich vorstellen: Ein Kind wird aus seiner Familie genommen, weil es dort nicht das Umfeld hat, um gesund und sicher aufwachsen zu können. Das ist stets der allerletzte Ausweg. Es kommt in eine Pflegefamilie oder Wohngemeinschaft, hat Bezugspersonen, die sich kümmern, schauen, dass es zur Schule geht. Oft zum ersten Mal in seinem Leben sorgt sich jemand um sein Wohlergehen. Doch mit 18 ändert sich von einem Tag auf den anderen alles. Der Jugendliche muss ausziehen, verliert seine Bezugspersonen – und landet oft in der Mindestsicherung.“

Plötzlich erwachsen

Diese Kinder hätten oft weder Matura noch Lehrabschluss. Dennoch seien plötzlich „Erwachsenen-Einrichtungen“ für sie zuständig. Maurer-Aldrian: „Viele haben in ihrer Kindheit schwere Traumatisierungen erlebt und verfügen über kein soziales oder familiäres Netz. Gerade sie bräuchten mehr Zeit zum Erwachsenwerden“ – wie es die meisten „normal“ aufgewachsenen Kinder in Anspruch nehmen. So verschiebt sich der Auszug aus dem Elternhaus immer weiter nach hinten: 1990 lag das Durchschnittsalter noch bei 21 Jahren, 2016 bei 25 Jahren.

Bei Kindern, die von der Kinder- und Jugendhilfe betreut werden, ist die Lage anders. Nur wenige haben die Möglichkeit, über die Volljährigkeit hinaus betreut zu werden. Zahlen sprechen hier eine deutliche Sprache: Die Statistik 2015 zeigte, dass vier Prozent der 14- bis 17-Jährigen unterstützt werden, aber nur noch 0,9 Prozent der jungen Erwachsenen ab 18. Hinzu kommt, dass Verlängerungen oft willkürlich und regional unterschiedlich gewährt werden.

Zu wenige Therapieplätze

Mit dieser Problematik einhergehend kämpft die Kinder- und Jugendhilfe auch für mehr Therapieplätze und Therapeuten in Österreich. Man weiß, dass knapp ein Viertel aller Kinder und Jugendlichen an psychischen Problemen leiden. Doch laut Experten fehlen in Österreich rund 80.000 Therapieplätze. Und österreichweit decken 26 Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie gerade ein Viertel des Bedarfs. Bezeichnend: 20 Prozent der Österreicher sind unter 18 Jahre alt. Doch werden für sie nur sechs Prozent der Gesundheitsausgaben verwendet.

Maurer-Aldrian warnt: „Wenn Kinder dringende Therapien nicht machen können, weil das Geld oder der Therapieplatz fehlen, hat das für sie Langzeitfolgen. Und – hart gesprochen – das kostet den Staat weit mehr als Hilfe, die schon früh einsetzt und greift.“