Am Mittwoch ist im Wiener Landesgericht für Strafsachen der Prozess gegen acht gebürtige Tschetschenen fortgesetzt worden, die eine auf Schutzgelderpressungen ausgerichtete kriminelle Vereinigung gebildet haben sollen. Einer der Angeklagten - Sozialhilfe-Empfänger und Vater von fünf minderjährigen Kindern - räumte ein, von einem arabisch stämmigen Arzt "Schweigegeld" bekommen zu haben.

"Ich habe nichts gefordert"

Verlangt habe er das Geld aber nicht, versicherte der 40-Jährige dem Schöffensenat (Vorsitz: Andreas Böhm): "Ich habe nichts gefordert." Er sei eines Tages in die Ordination des Arztes gegangen, nachdem er erfahren hatte, dass ein Cousin von diesem unter der Hand Unmengen an Schmerzmitteln bezogen hatte, die an sich rezeptpflichtig gewesen wären. "Er wollte high werden. Er hat seine Familie verlassen, er hat den Halt im Leben verloren", schilderte der Mann. Er habe einige Male versucht, seinen Verwandten zur Vernunft zu bringen. Als ihm das nicht gelang ("Er hat nur mehr diese Tabletten gesehen"), beschloss er, das illegale Treiben des Arztes zu beenden.

Der 40-Jährige gab beim ersten Termin vor, als Patient die Dienste des Mediziners zu benötigen. Als er im Behandlungszimmer nach Schmerzmitteln fragte, hätte ihm dieser ohne weiteres eine Packung in die Hand gedrückt. Zum zweiten Termin nahm der Tschetschene dann eine Kugelschreiber-Kamera mit und zeichnete heimlich die neuerliche Übergabe der verschreibungspflichtigen Mittel auf. In weiterer Folge drohte er dem Arzt, mit diesem Beweismittel zur Polizei zu gehen, sollte er seinen illegalen Handel nicht einstellen.

"Ich wollte, dass er damit aufhört. Es sind junge Menschen, auch Mädchen darunter gewesen, die das bekommen haben", gab der Angeklagte zu Protokoll. Der Arzt, der sich in die Enge getrieben gefühlt haben dürfte, zog einen weiteren Tschetschenen bei, mit dem er - so zumindest die Behauptung des 40-Jährigen - schon seit längerem einen schwunghaften Handel mit den Medikamenten in die Ukraine betrieb. Die beiden hätten befürchtet, dass eine Anzeige ihre lukrativen Geschäfte beenden könnte, erklärte der Angeklagte. Es sei zu einem Treffen zu dritt gekommen, bei dem der Mediziner versprochen haben soll, er werde Tschetschenen und dem Cousin im Speziellen keine Schmerzmittel mehr überlassen.

"Damit ich nicht zur Polizei gehe"

Plötzlich und unaufgefordert habe der Arzt ihm 2000 Euro übergeben und weitere 4000 Euro in Aussicht gestellt, die er in der darauf folgenden Woche dann auch bekommen hätte, berichtete der 40-Jährige. Das sei "Schweigegeld" gewesen, "damit ich nicht zur Polizei gehe". Aus einem abgehörten Telefonat - die angebliche Bande und ihr Umfeld waren Gegenstand umfangreicher Telefonüberwachungen - ergibt sich der Anklage zufolge, dass der Arzt insgesamt 50.000 Euro bezahlt haben dürfte.

Der Arzt soll sich allerdings an sein Versprechen nicht gehalten und die tschetschenische Community gegen entsprechendes Entgelt weiter mit Medikamenten versorgt haben. Deswegen kam es am 3. Februar 2017 zu einem weiteren Treffen des 40-Jährigen mit der tschetschenischen Kontaktperson des Mediziners auf der Donauinsel. Zu diesem Termin nahmen beide Seiten Verstärkung mit - insgesamt sollen am Ende an die 30 Tschetschenen an Ort und Stelle gewesen sein. Dazu vom Richter befragt, erklärte der 40-Jährige: "Sie haben ihr Wort nicht gehalten. Sie haben weiter ihre Geschäfte geführt." Er hätte daher den Arzt bzw. dessen Kontaktmann "zur Rede stellen wollen".

Das Großaufgebot an Tschetschenen irritierte jedoch zwei völlig unbeteiligte, zufällig des Weges kommende Spaziergänger, die sicherheitshalber die Polizei verständigten. Wenige Minuten später waren zahlreiche Beamte zur Stelle, die resolut einschritten und das Aufeinandertreffen auflösten. Mehrere Schusswaffen wurden später im Schnee entdeckt. Offenbar waren einige Tschetschenen bewaffnet erschienen und hatten sich ihrer Waffen entledigt, ehe sie unter dem Verdacht der Beteiligung an einer gewalttätigen Auseinandersetzung festgenommen wurden.

Verdacht: Brandanschlag auf Pizzeria

Letztlich wurden acht Männer zur Anklage gebracht, denen neben Schutzgeld-Erpressung auch ein Brandanschlag auf eine Pizzeria im Stadtzentrum von Hollabrunn im heurigen Frühling zugeschrieben wird. Um die Versicherungssumme in Höhe von 250.000 Euro zu kassieren, sollen sie am 13. März eine Explosion herbeigeführt haben. Dazu sind die Ermittlungen der zuständigen Staatsanwaltschaft Korneuburg noch nicht abgeschlossen, dieses Faktum ist daher noch nicht prozessgegenständlich.

Der Kontaktmann des Arztes, der auf der Donauinsel mit einer Maschinenpistole ausgerüstet gewesen sein soll, wird in dem Erpressungs-Verfahren nur als Zeuge geführt. Er soll als Vertrauensperson für die Polizei gearbeitet haben.

Arzt: "Ich wurde nie bedroht"

Der arabischstämmige Arzt, der von der angeblichen tschetschenischen Bande erpresst worden sein soll, hat das im Zeugenstand unter Wahrheitspflicht zurückgewiesen. Der 40-jährige Angeklagte, der ihn zunächst mit einer versteckten Kamera heimlich gefilmt hätte, "hat von mir direkt kein Geld verlangt", gab der Mediziner zu Protokoll. Die Tschetschenen hätten ihn außerdem "nie bedroht".

Der Zeuge bestätigte, der 40-Jährige hätte ihn mit Aufnahmen konfrontiert, die ihn bei der Übergabe verschreibungspflichtiger Medikamente zeigten. Dabei habe es sich um "Muster" gehandelt, die er zufällig noch lagernd gehabt und die er gutwilligerweise dem Tschetschenen überlassen hätte, behauptete der Arzt. Er bestritt in diesem Zusammenhang aber vehement, einen verbotenen Handel mit rezeptpflichtigen Medikamenten betrieben zu haben.

Die Wiener Gebietskrankenkasse hatte dem Mediziner allerdings im Jahr 2014 den Kassenvertrag gekündigt, die MA 40 ein temporäres Berufsverbot verhängt. Grund waren Unstimmigkeiten bei der Leistungsabrechnung. Der Arzt soll darauf andernorts offiziell als Bürokraft gearbeitet, aber in Wahrheit weiterhin Patienten behandelt haben. Erst vor knapp zwei Monaten wurde er vom Landesgericht für Strafsachen nicht rechtskräftig wegen Hehlerei zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, weil er Dieben im Wissen um deren Herkunft Beutestücke abgekauft haben soll.

"Schwierigkeiten befürchtet"

Er kenne die tschetschenische Mentalität, daher sei ihm "aus den Augen und Blicken" des 40-Jährigen klar gewesen, "was der wollte". Er habe "Schwierigkeiten befürchtet" und daher einen aus Tschetschenien stammenden guten Bekannten zurate gezogen, erläuterte der Arzt dem Schöffensenat. Der Bekannte hätte ihm empfohlen, dem 40-Jährigen 6.000 Euro zu bezahlen, "und die Sache ist erledigt", schilderte der Mediziner dem Gericht.

Dem sei er nachgekommen. Er hätte - ohne unter Druck gesetzt worden zu sein - dem Mann noch am selben Tag 2000 Euro überlassen und später weitere 4000 Euro zukommen lassen: "Ich wollte meine Ruhe kaufen. Das ist meine Art. Ich wollte keine Schwierigkeiten." Dass - wie in der Anklageschrift ausgeführt - weitere 44.000 Euro geflossen sein sollen, wies der Zeuge zurück. Allenfalls könne von seinem tschetschenischen Bekannten diese Summe geltend gemacht und einkassiert worden sein, "weil er für mich garantiert hat".

Die Verhandlung wird am Donnerstag fortgesetzt. Sollten sämtliche noch ausständigen Zeugen erscheinen, könnte es am Nachmittag erstinstanzliche Urteile geben.