Am Wiener Straflandesgericht ist am Mittwoch bereits zu Mittag der Prozess gegen einen Häftling, der im vergangenen Jahr in Floridsdorf im Zuge einer wilden Verfolgungsjagd auf dem Motorrad während eines Freiganges einen Streifenpolizist niedergefahren hatte, vertagt worden. Zwei Zeugen sowie ein Kfz-Sachverständiger sollen vom Gericht befragt werden.

Der Polizist, der sich dem 30-Jährigen damals in den Weg stellte, überlebte wie durch ein Wunder. "Meine Überlebenschance lag bei fünf Prozent", erzählte der Beamte, der sich immer noch im Krankenstand befindet, dem Schöffensenat (Vorsitz: Richterin Nina Steindl). Seinen Beruf wird der Mann nicht mehr ausüben können. "Das Ruhestandsverfahren wurde bereits eingeleitet", sagte der 53-Jährige, der sich bald wieder einer Operation unterziehen muss, da er Schmerzen im Knie sowie im Sprunggelenk und in der Schulter hat.

Der Motorradfahrer musste sich deshalb wegen Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen, wegen schwerer Körperverletzung und wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt verantworten. Er bekannte sich nicht schuldig. "Ich wollte den Herrn nicht verletzen", sagte der Beschuldigte, der von Anwalt Manfred Arbacher-Stöger (Kanzlei Rifaat) vertreten wurde.

Ohne Führerschein unterwegs

Der Angeklagte verbüßte in der Justizanstalt Hirtenberg wegen gewerbsmäßiger Betrügereien und Diebstähle eine vierjährige Freiheitsstrafe. Im April 2018 hätte er entlassen werden sollen, deshalb wurden ihm seit geraumer Zeit Freigänge ermöglicht. So auch am 22. September 2016, als ihn sein Bruder vom Gefängnis abholte. Dieser erzählte dem Häftling auf der Fahrt nach Wien, dass er sich gerade eine 175 PS starke Yamaha gekauft habe, die aber noch nicht zum Verkehr zugelassen war. "Ich liebe Motorräder. Da sind alte Erinnerungen aufgetaucht. Ich bin seit über vier Jahren nicht mehr mit einem Motorrad gefahren", berichtete der Häftling, der mittlerweile in die Strafanstalt Krems-Stein verlegt wurde.

Obwohl er nie einen Führerschein besaß - zuletzt wurde ihm ein solches Dokument abgenommen, da es sich um eine Fälschung handelte -, bastelte er Kennzeichentafeln aus Karton, um das Bike am Nachmittag in die Werkstatt zu bringen. Auf der Brünner Straße fiel das Fahrzeug einer Funkstreifenbesatzung auf. "Als ich das Blaulicht gemerkt habe, hab' ich Panik bekommen", sagte der 30-Jährige. "Ich hatte Angst, alles zu verlieren, die Ausgänge und so. Aber es ist alles nur noch schlimmer geworden."

Die Verfolgungsjagd ging bis nach Strebersdorf, wo der Polizist an der Kreuzung Langenzersdorferstraße/Strebersdorfer Platz zur Schulwegsicherung Dienst versah. Der Beamte bekam über Funk den Einsatz mit. Als ihm klar wurde, dass das Motorrad seine Kreuzung passieren würde, stellte er sich mit erhobener Hand auf die Fahrbahn, um den Flüchtenden zu stoppen. "Ich hab' kurz nach hinten gesehen, um zu schauen, wo meine Verfolger sind. Als ich wieder nach vorne sah, stand da eine Person mit gespreizten Armen und Beinen. Ich hab versucht, auszuweichen. Dann war alles schwarz um mich", sagte der 30-Jährige, der bei dem Unfall leichte Verletzungen davon trug.

Notoperation rette das Leben des Beamten

Das Motorrad hatte laut Anklage eine Geschwindigkeit von zumindest 95,8 km/h und erfasste den Polizisten frontal. Der Beamte wurde zehn Meter durch die Luft geschleudert und krachte dann auf die Fahrbahn, wo er reglos liegen blieb. Er erlitt unter anderem einen Schädelbasisbruch, Serienrippenbrüche, Brüche des oberen und unteren Schambeins, des Kreuzbeins und des linken Unterschenkels sowie zahlreiche Bänder- und Muskelrisse. Kollegen mussten den Mann reanimieren. "Ich kann mich nicht an den Unfall erinnern", sagte der 53-Jährige. Eine Notoperation rettete ihm das Leben. Vier Wochen lag er im künstlichen Tiefschlaf.

Dass nicht mehr Menschen zu Schaden gekommen sind, grenzt an ein Wunder. Zum Zeitpunkt des Unfalls war gerade der Unterricht einer nahe gelegenen Schule zu Ende. Die Schüler strömten aus dem Gebäude und passierten die Kreuzung, um zum Bus zu gelangen.

Der Beamte schloss sich dem Verfahren als Privatbeteiligter an. Sein Rechtsanwalt Mathias Burger (Kanzlei Kollmann Wolm) forderte 20.240 Euro Schmerzensgeld sowie die Übernahme sämtlicher Kosten für die Behandlung von Spät- und Dauerfolgen, was der Angeklagte anerkannte.

Zunächst wurde gegen den 30-Jährigen wegen versuchten Mordes ermittelt. Da aber Zeugen aussagten, dass sie den Eindruck hatten, dass der Motorradfahrer ausweichen habe wollen, ging die Anklagebehörde im Zweifel nicht von einem Tötungsabsicht aus.

Die Verhandlung wurde auf den 9. Oktober vertagt.