Weil er Anfang Jänner seine Eltern (85 und 75) getötet hatte, musste sich ein 48-Jähriger aus Perchtoldsdorf (Bezirk Mödling) am Dienstag am Landesgericht Wiener Neustadt vor Geschworenen wegen zweifachen Mordes verantworten. Der gebrochen wirkende, während seiner Befragung immer wieder aufweinende Angeklagte bekannte sich unumwunden schuldig. Ein weiterer Prozesstag ist für den 4. Juli angesetzt. Da werden weitere Zeugen und Gutachten behört, ehe ein Urteil gefällt wird.

Ihr Mandant verstehe bis heute nicht, wie er die Hand gegen seine eigenen Eltern erheben konnte, erklärte Rechtsanwältin Astrid Wagner am Dienstag im Eingangsplädoyer bei dem Mordprozess. Sie habe noch nie jemanden verteidigt, der derart unter der Last seiner Schuld leide. Zwei Tage nach der Tat habe er im Gefängnis einen Suizidversuch unternommen und sei seitdem in psychiatrischer Behandlung.

Eltern mit Baseballschläger getötet: Prozessbeginn

Als Außenseiter gehänselt

Wagner schilderte, dass der 48-Jährige, der zwei jüngere Schwestern hat, der einzige Hörende in der Familie war - in der Jugend als Außenseiter gehänselt, zeitlebens zur Unterstützung daheim, während sich die Schwestern schon früh vom Elternhaus abnabelten. Vom Naturell her keiner, der aufmuckt, war er derjenige der Geschwister, der - unausgesprochen - für die Eltern zuständig war.

So vergingen die Jahre, die Eltern wurden alt und zunehmend gebrechlich. Der Vater, ein selbstbewusster, dominanter Mann, hatte mit 78 einen ersten Schlaganfall. Den in der Folge von den Ärzten empfohlenen Rollator lehnte er laut der Verteidigerin ebenso ab wie Windeln wegen Inkontinenz zu tragen. Die Mutter wurde mit dem Haushalt immer weniger fertig, eine Putzfrau kam aber nicht infrage. Die Wohnetagen zu tauschen, damit die alten Leute sich die Treppe ersparen, wurde ebenso abgelehnt.

Erschöpft und überlastet

Zu Silvester 2016 stürzte die 75-Jährige dann über die Treppe, wurde von der Rettung ins Spital gebracht und zu Neujahr wieder entlassen. Der 48-Jährige beantragte Pflegeurlaub und rief beim Hilfswerk wegen Unterstützung an. Er, der seit 15 Jahren nicht mehr im Urlaub gewesen und die Jahre hindurch chronisch überfordert gewesen war, war nun völlig erschöpft und akut überlastet, suchte die Verteidigerin nach einer Erklärung für die Tat.

Mutter isolierte ihn

Dass nur er in der Familie hören konnte, fiel ihm als Kind nach und nach im Kontakt mit der "Außenwelt" auf, schilderte der Angeklagte sein - isoliertes - Aufwachsen. Seine Mutter wollte nicht, dass Freunde ins Haus kamen. "Da hinten wohnen die Derrischen", habe er in seiner Kindheit öfter jemand sagen gehört. Sein Leben verbrachte er in dem Haus - auszuziehen war undenkbar für ihn.

Vor allem die kleinere, zehn Jahre jüngere Schwester stand ihm nahe, er fühlte sich für sie verantwortlich. Er begleitete seine Eltern bei Behördenwegen, ließ sie nie länger allein und ging selbst kaum fort. Mit 16 war er ein einziges Mal drei Wochen auf Sprachferien in Hastings, sonst in seinem Leben nur mit seinen Eltern in Österreich im Urlaub, erzählte der Angeklagte.

Vater war "strenger Mann"

Als die Mutter zeitweise als Putzhilfe arbeitete, begleitete der Sohn sie dorthin. Der Vater, der mit 50 in Pension gegangen war, sei "ein strenger Mann" gewesen. Insbesondere nach dem ersten Schlaganfall habe der damals 78-Jährige beweisen wollen, dass er weiterhin alles machen kann, und sei immer sturer geworden. Nach dem zweiten habe er seiner Frau Vorwürfe gemacht, nicht bemerkt zu haben, dass er hilflos im Garten lag, erinnerte sich der 48-Jährige.

Bereits vor Weihnachten 2016 war der 85-Jährige wieder einmal gestürzt, wobei er sich einen Zahn ausschlug und die Brille kaputt ging. Dann kam der Sturz der Mutter, und er musste während ihres Spitalsaufenthalts den inkontinenten Mann allein versorgen. Sie habe in der Nacht nach der Rückkehr aus dem Krankenhaus vor Schmerzen gestöhnt, der Vater war verkühlt - er selbst konnte überhaupt nicht schlafen. Die Schwester und den Schwager - beide gehörlos - habe er heimgeschickt, weil beide ebenfalls schon erschöpft gewesen seien, meinte er. Eine Mitarbeiterin vom Hilfswerk hatte sich auf seinen Anruf hin die Situation bereits angeschaut - er befürchtete allerdings, dass der Vater derartige Unterstützung ablehnen würde. In seiner Familie durfte man andere nicht um Hilfe bitten, meinte er.

"Es wäre immer so weiter gegangen"

Sein Pflegeurlaub war bis 6. Jänner bewilligt - in der Nacht zum 4. griff er zum Baseballschläger. "Es wäre immer so weiter gegangen", schluchzte der Angeklagte auf, als ihn Richterin Birgit Borns nach dem Warum fragte, da ja zu diesem Zeitpunkt eigentlich bereits Unterstützung durch das Hilfswerk avisiert gewesen war. "Haben Sie vielleicht einen Zorn auf den Vater gehabt?" Auf die Frage, wieso er zuerst die Mutter erschlagen habe, wiederholte er weinend mehrmals "ich weiß es nicht".

Die Eltern hätten immer gesagt, nicht in ein Pflegeheim zu wollen - und auch, dass sie gemeinsam sterben wollten. Auszuziehen war undenkbar für ihn - wie es ihm selber ging, wurde nie erörtert. "Jetzt hab' ich sie endlich erschlagen, ich kann nimmer", zitierte die Richterin eine erste Aussage nach der Tat gegenüber der Polizei.

Seine Schwestern seien natürlich schwer getroffen. Aber sie würden hinter ihm stehen, sagte der 48-Jährige. Seine Verteidigerin verlas Auszüge aus einem Brief seiner Mutter an eine Freundin in Deutschland zu Weihnachten 2016, wonach die 75-Jährige "dem Herrgott jeden Tag" dafür danke, "dass er ihr diesen Sohn geschenkt hat."

Staatsanwältin beschreibt Tat

Die Staatsanwältin beschrieb die mehrfachen wuchtigen Schläge mit einem Baseballschläger, die der unbescholtene ÖBB-Beamte seinen pflegebedürftigen, gehörlosen Eltern in jener Nacht in deren Schlafzimmer versetzt hatte und sie damit "vorsätzlich tötete". Das sei die rechtliche Seite vor dem Hintergrund einer schwierigen familiären Situation.

Hilfe der Schwester abgelehnt

Nach den Ausführungen der Anklägerin hatte der Mann das Erdgeschoß bewohnt, die Eltern lebten im ersten Stock. Die Mutter hatte den Haushalt erledigt und sich um ihren Mann, den sie abgöttisch geliebt habe, gekümmert, die sozialen Kontakte seien sehr eingeschränkt gewesen. Ende Dezember 2016 stürzte die 75-Jährige über die Treppen, zog sich zahlreiche Prellungen zu und wurde im Spital behandelt. Weil sie Schmerzen hatte und kaum gehen konnte, suchte der Angeklagte um Pflegeurlaub an, die angebotene Hilfe einer Schwester lehnte er ab.

In der Nacht zum 4. Jänner habe sich der Beschuldigte zu der Tat entschlossen und zunächst acht Mal auf die Mutter eingeschlagen. Der Vater versuchte noch, aufzustehen und zu flüchten, wurde aber von den ersten Schlägen am Rücken getroffen. Dann habe der Mann den 85-Jährigen umgedreht und weiter geschlagen. Der alte Mann erlitt einen Schädelbruch, sprach die Anklägerin von großer Brutalität - und davon, dass sich ein anderer Weg hätte finden lassen - Hilfe habe der 48-Jährige zuvor ausgeschlagen.

Danach habe der Angeklagte den Notruf verständigt und erzählt, dass er seine Eltern erschlagen habe - "endlich". Laut Sachverständigengutachten sei die Zurechnungsfähigkeit des Mannes, der seine Interessen zeitlebens hintan gestellt hatte, gegeben.

Aussage der Schwester

"Er war immer sehr ruhig, bescheiden, und hat ein zufriedenes Leben geführt." Derart schätzte die zwei Jahre jüngere Schwester den Angeklagten ein. "Hilferufe" von ihm habe sie nie bekommen. "Die Eltern waren mit Sicherheit sehr froh, einen hörenden Sohn zu haben", sagte sie in Gebärdensprache im Zeugenstand. Wenn sie selbst helfen wollte, hieß es immer, ihr Bruder kümmere sich eh.

Nach dem Sturz der Mutter erhielt die 38-Jährige eine SMS von ihrem Bruder und ging am Neujahrsmorgen hin. Ihr Bruder wirkte "völlig erschöpft", die Mutter ganz benommen, von Schmerzen gezeichnet und derart verwirrt, dass sie Angst bekam. Die 38-Jährige bestand dann darauf, dass die Eltern sich im Erd- und nicht im Obergeschoß schlafen legen sollten. Wegen heftigen Schluckaufs des 85-Jährigen war zuvor auch noch ein Notarzt gerufen worden. Nach Mitternacht verließen die Frau und ihr Freund das Haus und kamen am nächsten Tag wieder, als eine Mitarbeiterin des Hilfswerks eintraf. Tags darauf standen Polizeiwagen vor dem Haus - und sie erfuhr, dass die Eltern tot waren. Wo ihr Bruder war, sagten die Beamten nicht. Den im Garten angeleinten Hund durfte sie dann mitnehmen.

Am Nachmittag stand noch die gerichtsmedizinische Expertise zu den Verletzungen der Opfer am Plan. Bevor dann am 4. Juli ein Urteil gefällt wird, soll neben weiteren Zeugen das psychiatrische Gutachten gehört werden
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