Weil die "Kronen Zeitung" in einem Vorbericht auf den Prozess um eine Gruppenvergewaltigung in Wien identifizierend über das Opfer berichtet hatte, ist die auflagenstärkste heimische Tageszeitung am Freitag nach dem Mediengesetz verurteilt worden. Das Wiener Landesgericht für Strafsachen sprach der Betroffenen eine Entschädigung von insgesamt 8.000 Euro zu.

Die junge Frau war in der Nacht auf den 1. Jänner 2016 von mehreren Männern in der Innenstadt aufgelesen und in eine Wohnung in der Leopoldstadt verschleppt worden, wo sie von insgesamt acht Tätern vergewaltigt wurde. Diese wurden Anfang März 2017 nicht rechtskräftig zu Haftstrafen zwischen neun und 13 Jahren verurteilt. Die "Krone" hatte unmittelbar vor der Verhandlung über den Fall berichtet und dabei die Identität der Betroffenen preisgegeben, indem ihr Vorname, ihr abgekürzter Familienname, ihre Herkunft, ihr Beruf und der äußerst markante Vorname ihrer Freundin, die sie in Wien besucht hatte, publiziert wurden.

Erkennbarkeit war eindeutig gegeben

Bei der jungen Frau bewirkte diese Veröffentlichung eine Retraumatisierung, ihr aufgrund des Erlebten bereits stark angeschlagener Gesundheitszustand verschlechterte sich neuerlich. Ihre Medienanwältin Maria Windhager klagte die "Krone" wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und Verletzung des Identitätsschutzes.

"Die Erkennbarkeit war ganz eindeutig gegeben, und zwar nicht nur bei einem unmittelbar vorinformierten Personenkreis", stellte Richter Thomas Spreitzer im Grauen Haus fest. In dem sowohl in der Print- als auch in der Online-Ausgabe veröffentlichten Artikel wurden dem Richter zufolge "Details leider sehr breit ausgewalzt, die geeignet waren, die Antragstellerin bloßzustellen". Ihm sei "vollkommen schleierhaft, warum man hier identifizierend berichten muss", zumal es sich "um das Opfer eines der abscheulichsten Verbrechen der Zweiten Republik" handle. Die verantwortliche Journalistin sei allerdings "durchaus einschlägig bekannt im Haus", fügte Spreitzer hinzu.

"Geringer Verbreitungsgrad" in Deutschland

Bei einem Strafrahmen von bis zu 20.000 Euro erschien dem Gericht eine Entschädigung von 4.500 Euro für den Print- und 3.500 Euro für den Online-Artikel angemessen. In der Urteilsbegründung wies Spreitzer darauf hin, dass der Zeitungsartikel bereits nach einem Tag aus dem Verkehr gezogen und die Online-Meldung - diese hatte zu diesem Zeitpunkt 50.000 Zugriffe - nach zwei Tagen vom Netz genommen wurde. Berücksichtigt wurde bei der Bemessung der Entschädigung außerdem, dass die Betroffene in Deutschland lebt und die "Krone" dort einen entsprechend geringeren Verbreitungsgrad hat.

Medienanwältin Windhager hatte für die in ihren Augen massive Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und die dramatischen Folgen für die Betroffene den Zuspruch des höchstmöglichen Entschädigungsbetrags verlangt. Sie legte umgehend Berufung gegen die Strafhöhe ein. "Das Ergebnis ist enttäuschend. Das ist in Wahrheit eine Einladung an die Medien, auf den Identitätsschutz zu pfeifen", sagte Windhager nach der Verhandlung im Gespräch mit der APA.

"Schutz vor medialer Bloßstellung"

In dieselbe Kerbe schlug die auf Opferschutz spezialisierte Anwältin Eva Plaz, die strafrechtliche Vertreterin der betroffenen jungen Frau: "Der Staat bleibt den Opfern den Schutz vor medialer Bloßstellung schuldig." Für Plaz beweist dieser Fall, dass der Gesetzgeber die Rechte der Opfer zu stärken hat. Der "Krone" dürfte das Protokoll mit der kontradiktorischen Einvernahme der missbrauchten Frau zugespielt worden sein, die vor der Verhandlung schonend als Zeugin vernommen worden war, um ihr einen persönlichen Auftritt bei Gericht zu ersparen. Dass dann just bei einer solchen Konstellation die Aussagen der Betroffenen in der Öffentlichkeit landen, ist für Plaz empörend: "Die Ergebnisse des Ermittlungsakts sind nicht geschützt."

Die Rechtsvertreterin der "Krone" gab zu der nicht rechtskräftigen erstinstanzlichen Entscheidung zunächst keine Erklärung ab.