"Ich hab' einfach nicht gewusst, wie ich mir helfen soll. Ich wollte keine Schmerzen mehr. Ich wollte nicht geschlagen werden" - mit diesen Worten hat eine 28-jährige Wienerin am Freitag im Landesgericht erklärt, weshalb sie ihrem Freund einen beinahe tödlichen Messerstich versetzt hat. Für ihren Verteidiger Christian Werner war klar: "Das war eine Notwehrsituation, wie sie im Buche steht." Die Verhandlung wurde zur Einvernahme zahlreicher Zeugen auf 10. März vertagt.

Das Paar hatte sich 2011 im Urlaub in Kärnten kennengelernt. Nur wenige Wochen, nachdem sie zusammen kamen, wurde sie schwanger. Schon während der Schwangerschaft traten Beziehungsprobleme auf. Nach der Geburt des Sohnes soll der 30-Jährige immer wieder gewalttätig geworden sein und seine Freundin an den Haaren gerissen, gewürgt, geschlagen und getreten haben. "Er hat sie über Jahre hinweg massiv misshandelt. Es war öfters notwendig, dass sie im Spital behandelt wurde", erklärte Verteidiger Werner.

Sehnsucht nach normalem Familienleben

Zwei Mal trennte sich die Frau von ihrem Partner für mehrere Monate, versöhnte sich aber wieder und kehrte zu ihm zurück. "Es war der nahezu krankhafte Drang von ihr, ein normales Familienleben führen zu wollen", sagte dazu ihr Rechtsvertreter. Außerdem habe die Frau befürchtet, im Fall einer Trennung das Sorgerecht für das gemeinsame Kind zu verlieren. Der Vater ihres Lebensgefährten ist in hoher Position in der Wiener Stadtpolitik tätig, der 28-Jährigen soll zu verstehen gegeben worden sein, dass er entsprechenden Einfluss habe und allfällige Probleme seines Sohnes "richten" könne.

Am Abend des 18. April 2016 kam es erneut zu Handgreiflichkeiten. Die Frau zog sich ins Gästezimmer zurück, der 30-Jährige folgte ihr laut Anklage, soll sie beschimpft, ihr in den Rücken geboxt und sie - als sie in die Küche flüchtete - an den Haaren gezogen haben. Da nahm die 28-Jährige ein Brotmesser aus einem Messerblock und versetzte dem Mann einen Stich unter die rechte Achsel. "Ich habe gewusst, es wird nicht aufhören, er wird auf mich hinprügeln die ganze Nacht", rechtfertigte sie sich nun vor einem Schöffensenat (Vorsitz: Philipp Schnabel).

Verletzung war lebensbedrohlich

Die Verletzung war aufgrund des enormen Blutverlustes lebensbedrohlich. "Ich sterbe", soll der 30-Jährige gesagt haben. Doch die 28-Jährige verständigte umgehend die Rettung und bemühte sich bis zu deren Eintreffen die Blutung zu stillen. Nun saß der Mann neben ihr auf der Anklagebank - die Staatsanwaltschaft legte ihm fortgesetzte Gewaltausübung zur Last. Der kaufmännische Angeklagte bekannte sich dazu nicht schuldig. Gewalttätigkeiten wären zwar vorgekommen, aber wechselseitige, führte er ins Treffen.

"Man hat sich gegenseitig immer wieder in die Wolle gekriegt", stellte der Rechtsbeistand des Mannes fest. Er verwies auf Zeugenaussagen, denen zufolge die Tagesmutter, die mit der Betreuung des Sohnes des 30-Jährigen betraut war, beim Angeklagten Verletzungsspuren gesehen haben soll. Außerdem soll dessen Partnerin - das Paar hat sich mittlerweile getrennt - gegenüber einer Sozialarbeiterin von "gegenseitigen tätlichen Angriffen und Beschimpfungen" gesprochen haben.